7 Jahre später: Hat Android seine Wurzeln vergessen?
|Wem die Überschrift vertraut vorkommt, der liegt richtig. In seinem ähnlich betitelten Artikel „Five Years Later, a Full-On Retreat from What Made Windows Phone Special“ hat der Autor Paul Thurrot zusammengefasst, wie Microsoft viele Stärken von Windows Phone verlassen hat. Meine Gedanken dazu habe ich in der düsteren Analyse „Ganz oder gar nicht: Wird es Zeit, Windows Phone zu beerdigen?“ festgehalten. Aber muss sich nur Microsoft einem solchen Vorwurf aussetzen? Wie sieht es mit Google und dessen mobilem Betriebssystem aus? Hat Google all die Versprechen gehalten, mit denen es 2008 angetreten ist? Zeit für einen Realitätscheck!
Was macht Android aus?
Android ging im Oktober 2008 mit dem T-Mobile G1 an den Start, um Apples erfolgreichem iOS und dem iPhone etwas entgegen zu setzen. Von Anfang an verstand Google sich dabei bewusst als Gegenentwurf zum goldenen Käfig, in den sich Apple Nutzer so bereitwillig sperren lassen. Offenes Dateisystem, flexible optische Anpassung, offener Zugriff auf SD-Karte und USB-Port und das alles auch noch Open Source. Dieses Selbstverständnis wird dann noch mit dem Google Motto „Don’t be evil“ angedickt und schon steht die rebellische Fassade. Mein Unterton verrät es: Viele der einstigen Werte hat Android mittlerweile aufgegeben.
Eine Bestandsaufnahme
Widmen wir uns gleich einmal einem entscheidenden Teil der Philosophie von Android: Dem offenen Quellcode. Das Android Open Source Projekt, kurz AOSP, ist zwar noch immer ein wichter Bestandteil von Googles Philosophie, aber 7 Jahre nach dem Start ist klarer denn je: Android ohne Google ist wertlos. Wer sich einmal die AOSP-Apps anschaut, die – auch aktuell – zum offenen Teil des Android Codes gehören, wird sich fragen, ob er aus Versehen eine Zeitreise zu den Anfängen mobiler Systeme gemacht hat. Die AOSP-Music App ist irgendwo bei Gingerbread stehengeblieben und die AOSP-Suche hat den Charme von AltaVista aus den 90ern. Ars Technica hat all das bereits ausführlich beschrieben und herrlich böse mit dem Zitat zusammengefasst:
Android is open — except for all the good parts.
– Arstechnica.com
Jeder im westlichen Markt etablierte Hersteller ist auf den Google Play Store angewiesen. Will er diesen anbieten, kann er nicht einfach den freien Quellcode nutzen, sondern muss das gesamte Google Paket lizensieren: Google Play Store, Google Drive und Google Maps müssen dann auf jedem Android vorinstalliert und prominent platziert werden. Statt „Don’t be evil“ nutzt Google seine Marktmacht mittlerweile mit allen Mitteln aus. So sehr, dass die EU-Kommission sich gezwungen sieht, Google wegen unfairem Wettbewerb kartellrechtlich entgegenzutreten. Android startete als liberaler Gegenentwurf zu Apples Strenge und solange es darum ging, Marktanteile zu erobern, zeigte man sich freigiebig. Mit Erfolg: Mangels Alternativen griffen viele Hersteller wie HTC, Samsung oder Sony zu Android. Mittlerweile aber zieht Google die Zügel an und hält sich „seine Herseller“ an einer kurzen Leine. Zu kurz beispielsweise für Samung, die schon lange mit Tizen und alternativem App-Store an einem Plan B zu arbeiten scheinen.
Auch das Versprechen, dem Nutzer die Kontrolle über sein System und seine Daten zu belassen, darf man getrost als gebrochen bezeichnen. Android ist mittlerweile das einzige Betriebssystem, das es dem Nutzer nicht ermöglicht, selbst zu entscheiden, welche persönlichen Daten einzelne Apps zu sehen bekommen, während iOS und mittlerweile auch Windows Phone 8 dem Nutzer hier deutlich mehr Kontrolle zugestehen.
Das größte Sinnbild der androidischen Freiheit ist aber sicherlich die SD-Karte. Was davon übrig geblieben ist, sieht man bei der Nexus-Serie, die seit Jahren schon keine Speichererweiterung mehr vorsieht. Und selbst die Hersteller, die in ihren Geräten noch SD-Kartenslots einbauen, mussten bei Android 4.4 „KitKat“ erleben, dass Google selbst das Beschreiben der SD-Karte ohne Vorwarnung deaktivierte und viele Nutzer aus ihrer SD-Karte aussperrte. Ebenfalls betroffen war USB-OTG, das mit KitKat kurzerhand gestrichen und nur mit Root-Rechten wiederbelegt werden konnte. Mit Android Lollipop behob Google diese Missstände glücklicherweise wieder, aber die Verunsicherung bleibt.
Dann wäre da noch die freie Konfigurierbarkeit von Android. Jeder Hersteller durfte Android bisher optisch beliebig abwandeln, was zu sehenswerten Anpassungen wie HTC Sense führte. Wohin hier die Reise geht, zeigen aber die neuesten Android-Abspaltungen. Für Android Wear und Android Auto verbietet Google jede Anpassung. Ab jetzt entscheidet Google, wie Android auszusehen hat. Ich selbst habe das in meinem Artikel „Android Wear, Google und das Ende der Unschuld“ zwar begrüßt, weil es dem Wildwuchs und dem schlechten Nutzererlebnis entgegenwirkt, aber das Fazit bleibt: Google fängt an, sein System abzuschotten; Gegen Anpassungen durch Dritte und auch der Nutzer. Bei Android für Smartphones sind derartige Bemühungen bisher zwar nur zaghaft wahrzunehmen. Das seit Kurzem diktierte „Powered by Android“-Bootlogo, die gestrichene Option für Lockscreen-Widgets und anhaltende Bemühungen, Smartphone-Hersteller auf die Einhaltung engerer Design-Vorgaben zu verpflichten, zeigen aber auch hier, was Google für Android am liebsten hätte.
Was ist Googles Entschuldigung?
Android ist natürlich trotzdem noch das offenste Betriebssystem. Allein die Möglichkeit, Apps außerhalb des offiziellen Appstores zu installieren, ist und bleibt eine Option, die in der mobilen Landschaft einzigartig ist. Ich persönlich finde es tatsächlich auch höchste Zeit, dass Google Verantwortung für das Bedienerlebnis seines Betriebssystems übernimmt. Es hat in diesem Sinne durchaus gute Gründe dafür, die ehemaligen Freiheiten zu beschneiden und alte Versprechen zu brechen. Aber das ändert nichts daran, dass es ein Bruch ist.
Optisch mögen die Auswirkungen nicht so offensichtlich sein, wie die Abkehr Microsofts vom klassischen Windows Phone Design. Googles Bruch mit den eigenen Versprechungen ist subtiler, weniger offensichtlich. Android 5 „Lollipop“ ist aktuell das wohl überzeugendeste Android, das wir je hatten. So übertüncht Google, dass im Hintergrund mit Hochdruck daran gearbeitet wird, den freiheitsverwöhnten Android wieder einzusperren. Während im Hintergrund längst gemauert wird, gibt sich Android weiterhin als ein offenes, freies und anpassbares Betriebssystem. Aber diese Zeiten sind vorbei. Android hat seine liberale Kinderstube verlassen und bewegt sich in vielerlei Hinsicht auf ein geschlossenes Ökosystem nach dem Vorbild Apples zu.
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Ich bin Malte, der Chefredakteur hier bei DeathMetalMods.de. Ich bin beruflich als Jurist tätig und lebe in diesem Blog meine Lust an Technik, digitaler Welt und Gadgets aus. Ich schreibe hier die meisten Artikel und organisiere die Arbeiten im Hintergrund. Ihr findet mich auch privat bei Mastodon und Twitter.
Interessanterweise verläuft die Entwicklung beim Microsoft zurzeit genau entgegen gesetzt, das Unternehmen öffnet sich zu allen Seiten. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Microsoft bessere Menschen arbeiten als bei Google. Dieser Strategiewechsel hat seine Ursache in der schwindenden Marktmacht des Unternehmens. Aber für die Nutzer ist es ein Segen. Vieles erleichtert die Arbeit, weil man Dienste über verschiedene Plattformen hinweg nutzen kann. Das bringt dem bei vielen verhassten Kollos auf lange Sicht auch mehr Sympathie. Und das ist wichtig: Nur wenn die Käufer eine Marke mögen oder sogar lieben, bleiben sie ihr langfristig treu – siehe Apple. Das hat Microsoft viele Jahre vernachlässigt. Und hat es jetzt vielleicht endlich gelernt. Allerdings hat das Unternehmen noch einen sehr weiten Weg vor sich.
Dein Artikel zeigt sehr schön auf, dass Google den umgekehrten Weg geht, die aufgeführten Beispiele zeigen das deutlich. Es ist das alte Spiel: Wer die Macht hat, nutzt sie aus – zum Teil ohne Rücksicht auf Partner und Nutzer. Das kann sich langfristig rächen, das Image bekommt Risse. Aber selbst wenn irgendwann einmal alle Google hassen sollten: Wenn sie nicht (wie Microsoft bei Mobile) einen drastischen Technologiewandel verschlafen, kommt auch zukünftig so schnell niemand an Google vorbei.
Wir haben in der Technikbranche schon einige Riesen fallen sehen. Ich frage ich mich: Ist Google wirklich „zu groß“, um zu scheitern?
Und auch Liebe zu Marken hält nicht ewig. So blöd das klingt: Ich denke, dass der Erfolg von zB Apple zwar viel mit Marketing und Kundenbindung zu tun hat. Aber sowas funktioniert auch nicht völlig ohne konstant gute Produkte abzuliefern. Das iPhone 5C darf man beispielsweise getrost als Misserfolg (nach Apples Standards) verbuchen – da hat der Apple-Kult auch nicht geholfen.
Insofern ist die Strategie von Microsoft natürlich ganz richtig, auch die Herzen der Kunden wiedergewinnen zu wollen, aber dazu müssen auch die Produkte und das Nutzererlebnis stimmen. Bei Google jedenfalls stimmt es aktuell mehr denn je dank Lollipop (das Memory Leak lass ich mal außen vor). Solange Google weiter als Spaß-Firma mit lustigen Drohnen, Auto und Brillenprojekten wahrgenommen wird, können sie sich es leisten, die alten Tugenden zu vergessen …
Danke für die interessante Bestandsaufnahme. Ich frage mich nur, warum du Windows Phone die Existenzberechtigung absprichst, weil sich die Plattform weiter- und von einigen Designprinzipien wegentwickelt, während du Google’s Abkehr von allem was mal heilig war mit so viel Verständnis begegnest.
Du kannst natürlich sagen, dass bei Android unterm Strich das bessere Gesamtprodukt oder das bessere Nutzererlebnis steht, aber das würde ich bestreiten. Was Windows 10 betrifft ist es für ein Urteil ohnehin noch zu früh. Auf jeden Fall wäre so ein Urteil letztlich subjektiv.
Ich habe WP10 ja nie die Existenz“berechtigung“ abgesprochen. Sehr wohl aber den Wert der Existenz in Frage gestellt.
Natürlich hat ein System, das bis auf einen Kachelscreen ein Android für App-Wenignutzer werde könnte (so die wohl pessimistischste Prognose) ein „Recht“ zu existieren … nur welchen Wert hätte so ein System? Was ich sagen will: Während MS mich anhaltend verwundert und ich deren Festhalten an einem eigenen OS nicht durchschaue, ist Googles Machtmissbrauch ja zunächst nicht schwer zu verstehen.
Das heißt auf keinen Fall, dass ich Googles Weg gut heiße, das muss ich wohl nicht betonen.