Neues Leben für alte Hardware: Lineage OS und das HTC One (M8)

Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Android-Smartphones sind miserabel, wenn es um Versorgung mit Updates und neuer Software geht. Die günstige Android-Mittel- und Unterklasse erhält teilweise nur für einige Monate Softwareupdates und selbst teure High-End Geräte von Samsung, HTC oder Motorola werden selten länger als zwei Jahre mit Updates und Sicherheitspatches versorgt. Nicht immer sind dabei aber die Hersteller Schuld. Chiphersteller wie z.B. Qualcomm stellen ihrerseits viel zu früh keine Treiber mehr für die Prozessoren bereit, die in den Androiden arbeiten. Und selbst Google, das als Meister des Android-Betriebssystems bei seinen hauseigenen Nexus– und Pixel-Smartphones eigentlich mit gutem Vorbild vorangehen müsste, lässt gerade einmal zwei Jahre Systemupdates und drei Jahre Sicherheitspatches springen.

Wer an dieser Misere letztlich schuld ist, soll hier aber gar nicht das Thema sein. Das Resultat jedenfalls kann niemanden freuen: Wer 2014 einen Androiden für 700 € gekauft hat, dürfte beim letzten großen Android-Update im Herbst 2016 (auf Android 7 „Nougat“) zum Beispiel bereits leer ausgegangen sein. Mit jedem Monat, den diese Smartphones weiter im Alltag genutzt werden, werden sie mehr und mehr zu einem Sicherheitsrisiko für ihre Nutzer. Von den neuen Features in Android 7 „Nougat“ will ich dabei gar nicht reden. Klar ist auch, welcher Hersteller in dieser Hinsicht bisher Maßstäbe setzt: Apple. Selbst das iPhone 5 aus 2012 hat im vergangenen Herbst das Update auf die allerneueste Software bekommen und wird voraussichtlich bis weit in das Jahr 2017 hinein mit Updates versorgt werden.

Aber das Thema ist so bekannt wie abgedroschen. Im Grunde hat man sich als Android Nutzer damit abgefunden. Oder doch nicht? Eine kleine Gruppe passionierter Android-Enthusiasten scheint sich diesem Schicksal nicht fügen zu wollen und verweist tapfer auf „Custom-ROMs“. Erst kürzlich beschwerte ich mich auf Twitter (was macht man auch sonst auf Twitter?) darüber, dass Google den Support für das Nexus 6 schon nach knapp zwei Jahre einstellt. Und prompt rührte sich ein Fürsprecher für die Custom-ROM Szene und verwies pflichtbewusst auf CyanogenMod und Lineage OS.

Das kultige HTC One (M8)

Ich habe mir also flugs einen vermeintlichen Smartphone-Oldie besorgt, um mich wieder einmal mit dem Thema zu befassen. Meine Wahl fiel dabei auf das HTC One (M8) (hier mein Rückblick-Review zum Klassiker von HTC). Für diesen Artikel hat das deutsche HTC Presseteam dankenswerter Weise auf seinem Dachboden gekramt und mir ein Gerät bereitgestellt. Das M8 ist im Grund ein perfektes Beispiel für das Problem, um das es in diesem Artikel geht. Es wurde im März 2014 vorgestellt und erhielt etwa zwei Jahre lange neue Software. Das letzte offizielle Update war das Update auf Android 6 „Marshmallow“ im Frühjahr 2016. Das Sicherheitspatch Level schaffte es sogar nur auf den Stand „Dezember 2015“.

Mit seinem hinreißenden Vollmetall-Design, potenter und nach wie vor zeitgemäßer Hardware sowie einer UVP von damals ca. 670 € ist das HTC One (M8) eines jener Gerät, das beispielhaft für die Angewohnheit der Hersteller steht, ehemalige Flaggschiffe frühzeitig abzuschreiben. Es soll hier aber gar nicht groß um HTC selbst gehen. Die schleppende Updatepolitik ist ein Problem aller Hersteller. HTC gehörte sogar zu der kleinen Gruppe, die für seine neuesten Geräte innerhalb von 100 Tagen ein Update auf Android 7 bereitstellte. Aber wo wir schon dabei sind, verdient das HTC One (M8) auch Anfang 2017 noch viel Lob: Ein grandioses Design im Gunmetal-Look, das tolle Display mit einer guten Mischung aus Größe und Schärfe sowie Stereo-Lautsprecher, die selbst das Nexus 6P und das iPhone 7 noch auf Trab halten.

HTC One (M8): Front mit Stereo-Lautsprechern

HTC One (M8): Rückseite aus Metall-Unibody

Aber es hilft nichts. Das M8 ist – wie alle Flaggschiffe aus 2014 – längst am Ende seines Softwaresupport angelangt. Bühne frei also für Custom-ROMs und für die Frage, ob Hinweise à la „Dann flashe dir eben selber aktuelle Software“ wirklich eine legitime Antwort auf Androids Update-Misere sein können.

Bühne frei: Lineage OS

Es dürfte niemanden überraschen, dass ich mich in der weiten Welt der Custom-ROMs für Lineage OS entschieden habe. Seitdem das Custom-ROM Urgestein CyanogenMod nicht weiter von der Cynogen Inc. am Leben erhalten wird, musste die Entwickler-Community umziehen und führt das Projekt CyanogenMod nun unter dem Namen Lineage OS samt eigener Server-Infrastruktur fort. Auf der Download-Seite des Projekts gibt es bereits eine ganze Reihe verfügbarer Versionen für viele bekannte und auch ältere Smartphones von Asus bis Xiaomi. Das HTC One (M8) gehört – wie auch sein gleichermaßen kultiger Vorgänger, das HTC One (M7) – zu den unterstützten Geräten.

Nachfolger von CyanogenMod: Lineage OS

Lineage OS ist wie CyanogenMod ein Android-Fork auf Basis des AOSP-Codes, dem quelloffenen Roh-Code des Android-Betriebssystems. Es wird von unabhängigen, mehr oder weniger lose kooperierenden Entwicklern gepflegt und basiert meist auf der aktuellsten verfügbaren Android-Version. Die aktuelle Lineage OS Version für das HTC One (M8) beruht derzeit auf Android 7.1.1. Optisch hält sich Lineage OS genauso wie CyanogenMod sehr an den puren Android-Look und ergänzt das System um ausgesuchte Extras. Root-Rechte sind bei Lineage OS zwar nicht Out-Of-The-Box aktiv, können aber ebenfalls leicht nachgerüstet werden. Hintergründe zu dem Thema Custom-ROM findet ihr auch in meinem Artikel zu CyanogenMod 11 auf dem Nexus 5.

Extra-Aufwand bei HTC: Entsperren des Bootloaders

Der Aufwand, den man betreiben muss, um Lineage OS auf einem unterstützten Smartphone zu installieren, unterscheidet sich je nach Hersteller und Gerät. In der Regel muss man eine spezielle Boot-Software (Custom-Recovery wie z.B. TWRP) flashen und von dort die .zip-Daten installieren, die man von Lineage OS heruntergeladen hat. Zusätzlich muss man meist die Google Apps manuell nachinstallieren, da diese aus Lizenzgründen nicht in Lineage OS enthalten sein dürfen. HTC macht den ganzen Prozess zusätzlich schwierig, weil man das besagte Custom-Recovery nur installieren kann, wenn man zuerst über das Entwickler-Portal von HTC den Bootloader entsperrt hat. Die insgesamt nötige Arbeit und das erforderlich Wissen sind meiner Meinung nach nicht trivial. Grundgeschick bei der Bedienung von ADB, Fastboot sowie Eingabeaufforderung (Windows) oder Terminal (Mac) ist unverzichtbar.

Lineage OS auf dem HTC One (M8)

Insgesamt hat der gesamte Prozess bei mir trotz jahrerlanger Erfahrung mit derartigem Android-Modding tatsächlich einige Stunden gedauert. Das lag aber vor allem daran, dass der bei HTC nötige Vorgang des Entsperren des Boatloaders für mich bisher unbekannt war. Im Grunde ist der Vorgang aber kein Hexenwerk. Mit Tutorials und gründlicher Vorbereitung sollten auch Flash-Neulinge zum Erfolg kommen. Anleitungen gibt es online genug. Ich habe mich an diese (für TWRP) und diese (für LineageOS) gehalten (wobei ich bei letzterer empfehlen würde, das System direkt von der offiziellen Lineage OS Seite zu laden und den Download hinterher zu verifizieren).

Im Alltag schlägt sich Lineage OS bisher ausgezeichnet auf meinem HTC One (M8)

Und das Ergebnis? Kurz gesagt: Klasse. Das System läuft bisher flüssig, stabil und haucht dem HTC One (M8) ganz neues, süßes Nougat-Leben ein. Zusammen mit aktuellem Softwarestand (Android 7.1.1.) sowie Sicherheitspatch Level (Januar 2017) erhält das M8 ein Betriebssystem, das praktisch dem auf den aktuellen Google-Nexus und -Pixel Geräten gleicht. Mich hat die HTC-eigene „Sense“-Bedienoberfläche zwar nie wirklich gestört, aber als Purist ist mir der saubere und stylische Look des puren Androids einfach lieber. Lineage OS gibt sich im Playstore übrigens als Pixel-Smartphone aus, so dass man sogar den Pixel Launcher direkt installieren kann.

Natürlich bringt Lineage OS nicht nur aktuelle Software mit, sondern auch viele Extras, die Android so normalerweise nicht bietet. Hier nun alles aufzuzählen, würde sicher den Rahmen sprengen (beziehungsweise möchte ich mir für einen Langzeit-Test aufheben), aber in meiner bisherigen Zeit mit dem ROM sind mir natürlich schon viele Kleinigkeiten aufgefallen. Die Statusleiste, die Navigationstasten und die Hardwaretasten lassen sich mit neuen Funktionen belegen und optisch umgestalten, die Farbtemperatur des Display lässt sich justieren und der Sperrbildschirm visualisiert auf Wunsch die aktive Musikwiedergabe. Kleinigkeiten wie die Batterieanzeige für gekoppelte Bluetooth-Kopfhörer oder das erweitere Shutdown-Menü sorgen für zusätzlichen Komfort. Ein automatischer Updater prüft wahlweise täglich auf den Lineage-Servern nach neuen Versionen. Zu alledem gesellen sich dann natürlich die Features, die Android 7.1.1. sowieso mitbringt, wie etwa Splitscreen, App-Shortcuts oder das verbesserte Energie-Management. A propos: Die Akkulaufzeit lässt sich bisher durchaus sehen, knapp über 5 Stunden Display-On-Time habe ich teilweise geschafft. Hier ein paar Screenshots:

Es gibt aber natürlich auch Kritikpunkte. Die liegen für mich allerdings nicht in der Stabilität oder Performance. Mich wundert hingegen, dass die Verschlüsselung des internen Speichers nicht standardmäßig aktiviert ist. Genauso stört mich, dass Lineage OS sich standardmäßig das Recht herausnimmt, Telemetriedaten zu erfassen und man das nachträglich selbst in den Einstellungen deaktivieren muss. Diese werden zwar als „anonym“ bezeichnet, meiner Erfahrung nach ist das aber nur selten tatsächlich auch der Fall. Bevor ich in den Entwickler-Einstellungen manuell auf MTP umgestellt hatte, wollte sich zudem die „Android File Transfer“ App auf meinem Mac partout nicht mit dem M8 verbinden. Das kann aber natürlich auch an der notorisch schlechten Kommunikation zwischen Android und Mac liegen. Insgesamt sind das bisher aber alles Kritikpunkte, die mit ein paar Klicks behoben waren.

Fazit: Custom-ROMs sind toll, aber keine Lösung

Mein Fazit zu Lineage OS auf dem HTC One (M8) fällt bisher ausgesprochen positiv aus. Das System läuft bemerkenswert rund und haucht dem alten Eisen noch einmal kräftig neues Leben ein. Die Freiheit, die Android mit sich bringt, zeigt sich hier von seiner positivsten Seite. Wer gern die neuen Funktionen von Android 7.1.1 testen möchte, aktuelles Sicherheitspatch-Level erwartet oder seinem HTC Gerät puren Android-Look verpassen möchte, der kann meiner Ansicht nach bedenkenlos zugreifen.

Aber das ändert an dem Ausgangsproblem natürlich nichts. Es kann und darf nicht dem Kunden überlassen sein, sich nach nur 2 Jahren schon nach Wegen umzusehen, sein vormals teuer erworbenes Flaggschiff mit aktueller Software zu versorgen. So sehr ich die Arbeit der Lineage OS Community loben muss und so sehr mir das HTC One (M8) ganz neu Freude bereitet: Als wirkliche Alternative zu herstellereigenem Support können und dürfen Custom-ROMs nicht herhalten. Zu fummelig ist teilweise die Installation, zu groß die Gefahr, dass die Garantie flöten geht und zu unnötig bleibt das Schulterzucken der Hersteller. Für mich ist und bleibt vor allem Google gefragt, die bei ihren eigenen Geräten mit besserem Vorbild vorangehen müssen und auch mit den Chipherstellern schlicht längere Support-Zeiträume aushandeln müssen.

Trotz dieser Kritik: Natürlich bin ich froh, dass vorerst mit Lineage OS & Co jedenfalls für versierte Nutzer die Möglichkeit besteht, Googles Nachlässigkeit mit Eigeninitiative etwas entgegen zu setzen. Ich werde mich jetzt jedenfalls in einen ausführlichen Langzeittest stürzen und in einigen Wochen oder Monaten berichten, wie sich mein HTC One (M8) dauerhaft mit Lineage OS schlägt (Update, 11.05.2017: den Langzeitbericht gibt es hier). Bis dahin:

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