Android Automotive – Erobert Google nach dem Smartphone auch das Auto?

Es kommt immer wieder vor, dass dieses Blog dem Apple-Lager zugeordnet wird. Ich bin nicht ganz sicher, woher dieser Eindruck kommt, aber in den Kommentaren oder bei Twitter muss ich gelegentlich richtig stellen, dass Android ein mindestens genauso großer Teil meines digitalen Alltags ist. Tatsächlich war mein erstes Smartphone ein Androide von Samsung (das erste Galaxy S) und auch heute greife ich mindestens ebenso gerne zu meinem Oneplus X wie zu meinem iPhone SE.

Dementsprechend war ich vergangene Woche natürlich sehr interessiert an der jährlichen Entwickler-Konferenz von Google, der Google I/O 2017. Ich habe die Eröffnungs-Keynote zwar live verfolgt, fand im Nachhinein aber nichts, was ich direkt im Blog verwerten wollte. Das änderte sich erst, als im Laufe der Konferenzwoche die Details der einzelnen Sessions bekannt wurden. Dazu gehörten auch neue Informationen zu „Android Automotive“, mit dem Google in bisher unbekanntem Maße zum Software-Herzen von Automobilen werden will und wofür sich mit Audi und Volvo auch bereits zwei prominente Partner gefunden haben.

Das neue „Android Automotive“ mag wie eine natürliche Weiterentwicklung von Googles Bemühungen klingen, auch im PKW Fuß zu fassen. Ich halte diese Entwicklung aber potentiell für weitaus folgenreicher. Statt sich damit zufrieden zu geben, wie bisher nur das Smartphone zu einem Dashboard-Entertainment-System zu erweitern (seit Langem unter dem Label Android Auto verfügbar), ist Google plötzlich sehr viel näher an einem eigenen kompletten Betriebssystem für Kraftfahrzeuge, inklusive Hardware Abstraction Layer und Lese- sowie Schreibzugriff auf die Daten einzelner Fahrzeugfunktionen. Google selbst macht diesen entscheidenden Unterschied auch sehr deutlich, indem unter „Android Automotive“ ein – auch begrifflich – neuer Android-Zweig eröffnet wurde. Mit Blick auf den unfassbaren Siegeszug, den Android bereits auf Mobilgeräten hinter sich hat, muss die Frage diskutiert werden: Wird Android Automotive zu ähnlich weitreichenden Umwälzungen im Automobil-Sektor führen?

Androids Eroberung des Smartphones

Um zu verstehen, was für ein Umbruch mit Android Automotive bevorstehen könnte, muss man sich vor Augen führen, was Android bisher mit Smartphones gemacht hat. Ende der 2000er-Jahre beherrschten Betriebssysteme wie Windows Mobile, Symbian und Blackberry RIM die Smartphone-Welt. Zwar wird Apple oft zugeschrieben, diese Vorherrschaft mit dem iPhone ab 2007 beendet zu haben. Hinsichtlich Hardwaredesign, finanziellem Erfolg und vieler Bedienkonzepte gebührt diese Ehre sicherlich auch dem iPhone. Der wahre Disruptor war und ist aber Android.

Als Reaktion auf Apples iOS kaufte Google 2005 das kleine Unternehmen „Android“ von Andy Rubin, gründete darauf aufbauend die „Open Handset Alliance“ und stellte 2008 zusammen mit HTC als Hardwarepartner das erste Android Smartphone vor. Der Eindruck, den Apple mit dem iPhone hinterlassen hatte, wird in Person von Chris DeSalvo, einem ehemaliger Google Ingenieur, bei Macrumors mit den Worten zitiert:

„What we had suddenly looked just so . . . nineties“

In den Jahren danach investierte Google deshalb immensen Aufwand in die Entwicklung von Android und legte einen beeindruckenden Eroberungsfeldzug hin. Apple-Fans greifen zwar noch immer gerne die Klischees und Vorurteile aus den Anfangstagen auf, aber Android hat diese Kinderkrankheiten mittlerweile hinter sich gelassen. Meine persönliche Meinung: Android ist (in seiner reinen Form) Apples iOS hinsichtlich Design, Nutzererlebnis und Features mittlerweile in vielen Bereichen voraus. Aber das Entscheidende ist nicht die Reifung des Systems, sondern die unfassbare Verbreitung, die Android erreicht hat. Mit über 80 % des weltweiten Marktanteils dominiert Android unantastbar die Smartphone-Welt. Apple mag mit iOS neue Smartphone-Ufer erschlossen haben, aber Android hat das dahinterliegende Land erobert.

Android (blau) hat die Smartphone Welt erobert (Bild- und Datenmaterial von statista)

Die Folgen sind heute jedem bekannt. Google ist dank seiner de facto Herrschaft über Android in fast allen Lebensbereichen präsent. Im Büro, beim Einkaufen und auf der Feierabend-Couch ist das Android-Gerät in der Nähe. Standortdaten, Nutzungsverhalten und persönliche Vorlieben sind dank der tiefen Integration von Googles Diensten die Grundlage von Googles Geschäftsmodell geworden. Unsere Kommunikation, unser mobiler Medienkonsum und unser über Fotos dokumentiertes Leben sind unmittelbar mit Google und Android verzahnt. Die mobile Welt wird von Android eindrucksvoll dominiert.

Die Eroberung des Autos?

Erst diese geschichtliche Einordnung erlaubt es, abschätzen zu können, welches Potential in Android Automotive schlummert. Die Parallelen sind nicht zu übersehen. Ähnlich wie bei Smartphone-Android hat Google auch für das Kraftfahrzeug im Jahr 2014 eine „Open Automotive Alliance“ gegründet und wenige Jahre später jetzt mit Audi und Volvo Hardwarepartner für Android Automotive gefunden. Mit seiner Initiative trifft Google bei der Automobilindustrie auf eine ähnliche Situation, wie 2008 bei der Vorstellung von Smartphone-Android: Jeder PKW-Hersteller hat seine eigene Software-Lösung für Fahrzeug-IT und Bedienoberfläche. Jeder der Hersteller versteht sich primär als Hersteller von Hardware und hat zwar reichlich Erfahrung im Motoren- und Fahrzeug-Design, aber wenig Expertise bei modernen Nutzerinterfaces und Touch-Bedienung.

Ähnlich wie vor 10 Jahren für HTC, Samsung und Motorola dürfte Googles aktueller Vorstoß den Autobauern daher sehr willkommen sein, denn die neuen Partnerschaften ähneln in ihrer Rollenverteilung jenen der Smartphone-Ära. Die Hersteller kümmern sich um Hardware, Design und Technik und Google liefert Userinterface, Betriebssystem und Anwendungen. Der für die Android-Entwicklung zuständige Google-Mitarbeiter Patrick Brady wird bei The Verge dementsprechend auch mit den Worten zitiert:

„Automakers began questioning why they would build something from scratch once they saw Google’s demonstration, which was more advanced than in-house systems that had been under development for a year.“

An dieser Stelle muss erneut betont werden, wovon bei Android Automotive tatsächlich die Rede ist. Es geht eben nicht mehr nur darum, dass die PKW-Hersteller in ihren In-Car-Entertainment-Systemen die Möglichkeit anbieten, ein Android-Smartphone anzuschließen, um dessen Bedienoberfläche auf dem fahrzeuginternen Display anzuzeigen. Das ist bereits seit einigen Jahren unter dem Label „Android Auto“ möglich und wird von Apple mit „Carplay“ ähnlich angeboten. Wir reden bei Android Automotive stattdessen über etwas, das viel eher einem waschechten Betriebssystem für das Auto gleicht und potentiell die proprietären Entwicklungen von Audi, Volvo, BMW & Co. ablösen kann.

Android Automotive kann potentiell die proprietären Fahrzeug IT ersetzen

Damit hat Android Automotive das Potential, mit den PKW-Herstellern das Gleiche zu tun, wie es das Mobile-Android bereits mit Smartphone-Herstellern getan hat: Sie werden zu Hardware-Partnern von Google degradiert. Opel, Peugeot und Toyota könnten so langfristig auf das Niveau von Auftragsfertigern nach dem Vorbild Foxconns oder Qualcomms reduziert werden, denn das Know-How, auf das Google angewiesen wäre, reduziert sich langfristig auf die Fähigkeit Karosserien und Motoren in großer Stückzahl bereitstellen zu können.

Der Reiz eines Pixel Car

Googles letztes Smartphone, das Google Pixel, war eine Auftragsfertigung von HTC. Der taiwanesische Hersteller war einst selbst ein renommierter Hersteller von Smartphones, zunächst mit Windows Mobile, später einer der ersten Android-Partner von Google. Heute ist HTC wenig mehr als ein Fertiger von Rohware, die zusammen mit Prozessoren von Qualcomm und Software von Google mit mäßigem Erfolg als „eigenes Smartphone“ verkauft wird. Es braucht nur wenig Phantasie, um sich auszumalen, dass in den kommenden Jahren ein strauchelnder Automobilriese ein Referenz-Chassis samt Motor nach Googles Vorgaben bauen könnte, dessen Herz aber ein vollständiges Android Automotive ist. Das Ergebnis ließe sich problemlos als „Pixel Car“ vermarkten.

Ich will dieses Szenario zwar nicht als übertrieben wahrscheinlich darstellen. Android Wear, das Uhren-Betriebssystem, und Google Glass, die Daten-Brille, haben gezeigt, dass nicht alle Google-Ansätze stets einen ähnlich disruptiven Effekt haben. Trotzdem sind die Parallelen zwischen Smartphone-Android und Android Automotive einfach zu beeindruckend, um sie beiseite zu wischen.

Ich selbst gehöre zu der Generation Autokäufer, die beim Fachhändler kaum noch von Pferdestärken, Heckspoilern oder dicken Alufelgen beeindruckt wird. Stattdessen sind Wlan im Auto, modernes Board-Interface und Verfügbarkeit von Diensten wie Spotify, Google Maps und Messaging viel entscheidender. Tatsächlich befinde ich mich privat aktuell auch in der Situation, ein neues PKW anschaffen zu müssen. Wenn ich dabei in aktuelle Fahrzeuge der großen Hersteller steige, kann ich aber oft nicht anders, als mich zu fühlen, wie der oben zitierte Chris DeSalvo. Ich fühle mich digital zurückversetzt in die 90er-Jahre: Angestaute Bedienoberflächen, überholte Software und fehlende moderne Verbindungsstandards wie Bluetooth sind die Regel.

Die Schattenseiten sind offensichtlich

So sehr ich mir also wünschen würde, dass die Software- und UI-Expertise von Google, Apple und meinetwegen auch Microsoft endlich auch in die Fahrzeug-IT Einzug halten, so sehr ist natürlich absehbar, welche bedrohlichen Szenarien damit einhergehen würden. Dabei will ich gar nicht groß davon reden, das PKW-Software viel längere Nutzungszyklen hat. Die lächerlichen Updatezeiträume von Google müssten selbstverständlich angepasst werden.

Nein, die offensichtliche Schattenseite von Android Automotive ist unzweifelhaft die zu erwartende Kontrolle von Google über die Fahrzeugdaten. Während Android Auto als On-Top-Service „nur“ auf die Daten Zugriff hatte, die auch ein im Fahrzeug mitgeführtes Smartphones liefern würde, ist Android Automotive eine komplett neue Dimension. Brems- und Lenkverhalten, Kraftstoffverbrauch oder auch Daten der Fahrzeugkameras sind nun auf einmal unmittelbar in Googles Zugriff. So wie Versicherungen jetzt schon großes Interesse an den Daten aus Googles und Apples Fitness-Plattformen haben, liegt es nahe, das eine unmittelbar auf dem Fahrzeug-OS installierte App meiner KFZ-Versicherung ungeahnte Begehrlichkeiten wecken würde. Das wird um so brisanter, als das Google in Frankreich bereits Kooperationen mit nationalen Versicherungen gesucht hat, um seine Smart-Home-Hardware rund um Nest integraler anbieten zu können. Der gesamte staatliche Zugriff von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten sowie die leidige Debatte um das Eigentum an den Fahrzeugdaten kommen dann natürlich noch oben drauf. Ein Automobilsektor, der ähnlich wie der Mobilsektor zu 80 % von einem Betriebssystem beherrscht würde und damit faktisch unter der Kontrolle eines einzelnen datenverarbeitenden Unternehmens stünde, klingt geradezu klischeehaft nach einem weiteren Schritt auf dem Weg in die Cyberpunk-Dystopie.

Ein einheitliches Fahrzeug-Betriebssytem würde nicht zuletzt auch ganz neue Reize für die Entwicklung von bösartiger Software bieten: Je einheitlicher die eingesetzte Software desto eher lohnt es sich, Sicherheitslücken zu erforschen und in entsprechende Malware zu investieren. Ich kann mir jedenfalls Reizvolleres vorstellen, als mich morgens gehetzt auf den Weg ins Büro zu machen und auf dem Dashboard im PKW zunächst um die Zahlung von Bitcoins gebeten zu werden, um mein Auto überhaupt starten zu dürfen.

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