Cyberpunk, Dateneigentum und digitale Leibeigenschaft

Die zunehmende Konzentration von Informationen bei wenigen großen IT-Konzernen ist ein Problem, das nicht nur rückwärts gewandte Digital-Phobiker interessieren sollte. Es geht dabei im Kern um die Frage, wie freiheitliche Gesellschaften die Herausforderungen der Digitalisierung meistern. Mit dieser Frage befasst sich auch der Datenschutz, eine Materie, die ich hier im Blog immer mal wieder streife. Leider ist der Begriff Datenschutz selbst ein bisschen dafür verantwortlich, dass sein Inhalt als extrem unsexy und altbacken gilt. Das fängt damit an, dass tatsächlich nicht die Daten selbst geschützt werden sollen: Das wäre schnöde IT-Sicherheit. Stattdessen gilt es Menschen zu schützen und zwar vor Rechtsverletzungen, die durch Verarbeitung von Informationen über ihr Leben entstehen. Vor allem aber hat Datenschutz (zu Unrecht) einen sehr unschmeichelhaften Ruf als Innovationsbremse. Seit Langem gibt es deshalb Bemühungen, den Begriff aufzupeppen oder ganz durch neue Konzepte abzulösen.

Aktuell kursieren dazu vor allem zwei Begriffe durch die Datenschutzszene: Dateneigentum und Datensouveränität. Beide sehe ich kritisch, aber jedenfalls der Begriff Datensouveränität ließe sich durchaus gebrauchen, wenn man ihn nur juristisch korrekt erklären und einordnen würde. Die aktuellen politischen Gedankenspiele, das Datenschutzrecht durch die Einführung einer Art Dateneigentum zu modernisieren, halte ich hingegen für eine ausgesprochen schlechte – Nein: gefährliche!  – Idee. Eine derartige Konstruktion würde das Fundament für dystopische Entwicklungen legen, wie sie unter anderem im Cyberpunk thematisiert werden.

Was ist Cyberpunk?

Cyberpunk ist ein Genre, das sich als Untermenge des Science-Fiction versteht. Es thematisiert als Gegenentwurf zu den optimistischen Szenarien einer galaktisch vereinten Star-Trek-Menschheit eine Zukunft, in der ein Großteil der Bevölkerung in Armut, Abhängigkeit, Unterdrückung und Unfreiheit lebt. Ein häufiges Motiv sind weltbeherrschende Mono- oder Oligopole, die entweder in staatlicher Hand liegen oder staatliche Machtstrukturen bereits vollständig abgelöst haben. Cyberpunk thematisiert dabei häufig Überwachungsstrukturen, sklavenartige Arbeits- und Lebensverhältnisse sowie das Eindringen der herrschenden Organisation in alle Bereiche des Lebens. Körper, Gedanken und Sozialleben werden kontrolliert, oft mithilfe technischer Hilfsmittel wie Körperimplantaten oder Gehirn-Maschinen-Schnittstellen. Als Begründer gelten Autoren wie Bruce Bethke und William Gibson. Stilistisch und vor allem visuell prägend waren Filme wie Blade Runner (1982), der Anime Ghost In The Shell (1995), der aktuell als durchaus sehenswerte Realverfilmung mit Scarlett Johansson in den Kinos läuft, oder auch die erfolgreiche Videospiel-Reihe Deus Ex. Eine empfehlenswerte und mit vielen weiteren Roman- und Filmreferenzen gespickte Aufarbeitung des Cyberpunk-Genres hat kürzlich auch das Team der Filmfabrik veröffentlicht.

Man würde dem Cyberpunk im Ergebnis also kaum Unrecht tun, wenn man das Genre als frühe Warnung vor einer Digitalisierung begreifen würde, die absolutistische und autokratische Machtstrukturen ermöglicht und verfestigt. Damit thematisiert das Genre im Grunde den Kernkonflikt, den auch das Datenschutzrecht adressiert: Die ungleiche Machtverteilung, die durch die Konzentration von Wissen, Informationen und Daten bei einzelnen Organisationen entsteht und Individuen zu bloßen Objekten reduziert. Bruce Schneier, der derzeitige CTO von IBM Resilient, mahnte dazu:

Just as we look back today at the early decades of the industrial age and wonder how our ancestors could have ignored pollution in their rush to build an industrial world, our grandchildren will look back at us during these early decades of the information age and judge us on how we addressed the challenge of data collection and misuse.

Bruce Schneier

Die dystopische Zukunft der Cyberpunk-Fiction zeigt eine Welt, in der digitale Umweltverschmutzung zu einem Wandel des Datenklimas geführt hat und wir alle in den geschmolzenen Polkappen des Big-Data-Meeres ersaufen. In dieser Welt würde das Urteil der hypothetischen Enkel von Bruce Schneier lauten: Wir haben versagt!

Schönes neues Dateneigentum

Derzeit diskutieren Politik und Netzgemeinde daher, wie man dieses Urteil abwenden kann. Die einen schreiben eine ganz neue Charta der Digitalen Grundrechte, die anderen wollen Daten als Rohstoff begreifen und ihn im Sinne eines kreativen Datenreichtums nutzen. Zu diesem Zweck haben die Juristen aus dem Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erst kürzlich vorgeschlagen, etwas zu tun, was Juristen sehr gern tun: Regeln aus der Vergangenheit auf Sachverhalte anwenden, für die diese Regeln nie gedacht waren. In Fachkreisen nennt man so etwas eine Rechtsanalogie. Auf die ironische Idee, die Herausforderungen des Digitalen mit einer Analogie lösen zu wollen, können dabei auch nur Juristen kommen.

Die Juristen aus besagtem Bundesministerium schlagen nun jedenfalls vor, Daten rechtlich wie Sachen zu behandeln. Damit werden Daten zwar nicht in körperliche Gegenstände verwandelt, rechtlich würde aber das Sachenrecht analog angewandt werden. In dem Strategiepapier Digitale Souveränität klingt das zunächst einmal auch gar nicht so gruselig. Dort heißt es:

Die Verfügungsrechte an Daten sollen demjenigen zugewiesen werden, auf den die Erstellung der Daten zurückgeht. Damit gilt im Grundsatz: Die Daten und damit verbundene Rechte gehören den Menschen.

Das Problem ist dabei gar nicht, wem das Eigentum am Anfang zufällt. Das Problem ist, dass Dinge, die einmal mir gehörten, auch schnell jemand anderem gehören können. Eigentum hat man nicht nur, Eigentum kann man auch veräußern. Genauso wie man besitzlos, vermögenslos oder mittellos sein kann, kann man in einer Welt des Dateneigentums auch datenlos sein.

Aber was passiert dann? Was geschieht, wenn mein Werbeprofil bei Google, mein Scorewert bei der Schufa oder meine Timeline bei Twitter auf einmal im Eigentum eines Konzerns stehen? Was bleibt dann noch von mir, wenn mein Erlebtes und meine Erinnerungen meiner eigenen digitalen Verfügungsgewalt entzogen werden? Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Einzelne überhaupt nicht mehr er selbst sein kann, ohne das Eigentum dieser Großdatenbesitzer zu verletzen? Darf ich mein digitales Selbst dann mieten? Zu welchem Preis? Für mich klingt diese Welt verdächtig nach Cyberpunk und einer Zukunft, in der mein inneres Wesen nicht mehr mir gehört, sondern fremdbestimmt wird.

Hinein in die Leibeigenschaft 4.0

Aus gutem Grund gibt es Bereiche, die dem Handel entzogen sind. Ein gutes Beispiel dafür ist der lebendige menschliche Körper. Abseits vieler kontroverser Einzelfragen besteht unter Juristen verbreitet Einigkeit darüber, dass meine Augen, mein Herz oder mein Gehirn Zeit meines Lebens nicht eigentumsfähig sind. Das geht eng mit der Ablehnung der Sklaverei und Leibeigenschaft einher. Der lebende Mensch als körperliches Wesen ist nicht jemandes Eigentum.

In einer digitalen Welt gehört aber nicht mehr nur die Unverletzlichkeit des Körpers (Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes) zu den Grundvoraussetzungen einer freien Gesellschaft, sondern auch die Unverletzlichkeit des digitalen Selbst. Und genauso wie es mit der körperlichen Unversehrtheit unvereinbar wäre, einen Menschen als Eigentum zu betrachten, darf auch der digitale Mensch nicht zum Eigentum werden. Ansonsten könnte auf die analoge Leibeigenschaft schon bald eine digitale Leibeigenschaft folgen, eine Digitaleigenschaft sozusagen.

Eine derartige ausschließliche Verfügungsgewalt über das digitale Selbst hat aber nichts mehr mit kreativer Datennutzung oder innovativem Datenschutz zu tun, sondern liest sich eher wie der Prolog des nächsten Cyberpunk-Meisterwerks. Dateneigentum sollte deshalb genau das bleiben: Fiktion.

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