Deutscher Datenschutz: Ein Wettbewerbsnachteil für innovative Unternehmen?

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Datenschutz nervt und kostet Geld. Vor allem aber steht Datenschutz modernen Produkten und Dienstleistungen im Weg. Ohne diese rechtliche Bevormundungen wäre Deutschland ein Land voller digitaler Innovationen und das Silicon Valley läge längst im Ruhrpott, nicht in Kalifornien. Als Fürsprecher digitaler Grundrechte muss man sich derartige Äußerungen immer wieder anhören: Datenschutz sei ein Wettbewerbsnachteil und Schuld daran, dass Europa technisch und digital-kulturell den Anschluss verlöre. Und jedes Mal denke ich: Ich bin diese Ausreden Leid!

Datenschutz hat ein Imageproblem

Mein Blogger-Kollege Königstein machte mich kürzlich via Twitter auf einen Artikel von Gruenderszene.de aufmerksam. Unter dem Titel „Datenschutz schadet der digitalen Wirtschaft in Deutschland“ macht dort ein gewisser Christian Sauer seinem Unmut Luft. Ich kenne den interviewten Herrn Sauer nicht, genauso wenig wie das von ihm geführte Unternehmen „Webtrekk“, das mit Datenanalysen sein Geld verdient. Die von ihm angesprochenen Punkte kenne ich dafür umso besser:

Zusammengefasst fürchtet der interviewte CEO, dass die Vorgaben des deutschen Datenschutzes dazu führen, dass Deutschland digital abgehängt wird. Als Vorbilder werden Apple, Amazon und Google genannt, die den neuen Deal der digitalen Wirtschaft nicht nur verstanden hätten, sondern auch ungehemmt davon profitierten: Leistung gegen persönliche Daten. Facebook scheffele Millionen, während StudiVZ und Co durch hysterische Datenschützer kaputtdiskutiert würden. Dabei gehe es doch nur darum, dass „uns ein [P]aar Schuhe im Internet verfolgt“. Interessenbasierte Werbung und Persönlichkeitsprofile seien nun einmal das Öl der Gegenwart und wer nicht auf diesen Zug aufspringe, der werde abgehängt. Überhaupt: Man solle nicht zu streng sein, schließlich habe Google ohnehin bereits mehr Daten gespeichert als der deutsche Geheimdienst und das störe doch auch niemanden.

So weit, so bekannt. Es ist natürlich keine Frage, dass die Aussagen aus diesem Interview eine gewisse Berechtigung haben. Deutsche oder europäische Unternehmen spielen in der Welt der mobilen Geräte und digitalen Dienstleistungen kaum noch eine Rolle. US-Unternehmen genießen bei ihren Geschäftsmodellen deutlich weniger Gegenwind. So hat jüngst die US-Gesundheitsaufsicht ankündigt, bei Gesundheitsapps und -wearables praktisch freie Hand zu lassen, während die deutschen Datenschutzbehörden sich sofort extrem skeptisch äußerten, als die deutsche Generali Versicherung ankündigte, Versicherungstarife mit Daten aus Fitnesstrackern füttern zu wollen. Datenschutz kommt dementsprechend als Spaßbremse und Innovationshemmer rüber. Datenschutz hat ein Imageproblem.

Freiheit ist kein Wettbewerbsnachteil

Dabei ist Datenschutz aber nicht der einzige Sündenbock. Nach Lust und Laune werden mal der Mindestlohn, mal der Umweltschutz und mal strenge Lebensmittelrichtlinien herbeizitiert. Soll ich euch was verraten? Ich finde es gut, wenn man von seinem Gehalt leben kann! Wenn Autos weniger Sprit verbrauchen müssen oder mein Apfelsaft auch tatsächlich noch Äpfel beinhalten soll, dann hat das nichts mit Überregulierung zu tun.

Ist Lohndumping ein Wettbewerbvorteil für asiatische Produzenten? Klar! Machen lasche Umweltvorgaben es US-Autoherstellern einfacher? Sicher! Aber genauso wenig wie Dumpingpreise bei Klamotten es rechtfertigen, Arbeiter wie Sklaven zu bezahlen, rechtfertigt der wirtschaftliche Erfolg von Google oder Facebook deren Eingriff in unsere Privatssphäre. Das Argument „Wettbewerbsnachteil“ hat für sich allein keinerlei Aussagekraft. Ganz im Gegenteil: Es wird viel zu oft missbraucht, um Misstände zu rechtfertigen. Ich erwarte von deutschen Unternehmen deutlich bessere Argumente dafür, dass man keine Alternative dafür sieht, uns bis ins Private zu verfolgen und jede digitale Spur zu Geld zu machen.

Dass Datenschutz erfolgreichen Geschäftsideen im Weg steht, halte ich außerdem auch schlicht für falsch. Das wertvollste Unternehmen der Welt ist Apple und kaum ein großes Unternehmen tritt derart offensiv für datensparsame Dienstleistungen ein. Apple verbietet den Entwicklern beispielsweise seit iOS 7, die UDID zu Werbezwecken zu nutzen und schmiss Apps aus dem Appstore, die die Werbe-ID von iOS auslasen, ohne überhaupt Werbung zu schalten. Als einziges Betriebssystem bietet iOS Nutzern die Möglichkeit, einzelnen Apps separat Zugriff auf Daten zu verbieten. Nur Apple hat mit iMessage einen Instant Messenger direkt an Bord, der es mit der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung halbwegs ernst nimmt. Apples Weigerung, auch den letzten Cent aus den Daten seiner Kunden herauszupressen, führte schon dazu, dass Aktionäre darauf drängelten, das ungenutzte Geschäftspotential doch endlich besser zu nutzen. Apple ist bei Leibe kein Heiliger, aber es zeigt, dass man kein Google-Ungetüm sein muss, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Unternehmerischer Erfolg und Datenschutz schließen sich nicht aus.

Das Interview bei Gruenderszene.de macht aber noch einen viel größeren Fehler: Es ignoriert das eigentlich Problem. Es geht bei Weitem nicht nur darum, dass man eine Erinnerungs-E-Mail bekommt, wenn man seine Online-Bestellung auf halbem Wege abgebrochen hat. Auch geht es nicht darum, dass irgendeine Webseite weiß, dass ich gern Sneakers der Marke X kaufe. Nein, es geht darum, was mit diesen Daten noch alles angestellt werden kann. Analysedienste dienen vorrangig dazu, werberelevante Informationen zu erheben und mir Angebote zu unterbreiten, die wirklich für mich interessant sind. Wer aber glaubt, dass danach Schluß ist, der ist naiv. Die Daten, die Google Analytics und Facebook sammeln, sind viel mächtiger. Sie geben Aufschluss über meine gesamte Persönlichkeit, meine sexuellen Vorlieben, politische Interessen und religiösen Überzeugungen. Das daraus erwachsene Bedrohungsszenario ist allerdings noch immer nur sehr diffus. Bisher sind die Horroszenarien der Datenschützer (zum Glück) nicht wahr geworden. Noch feiern wir Big Data als Revolution, nicht unähnlich wie die Kernenergie in den 50er und 60er Jahren als Lösung der Energiekrise galt.

Dabei hat das unregulierte Verarbeiten von personenbezogenen Daten das Potential, unsere Gesellschaft, unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie in Stücke zu reißen. Eine Gesellschaft, in der wenige mächtige Konzerne alles über uns wissen, kann nicht frei bleiben. Ich finde es deshalb ganz richtig, dass das deutsche Telemediengesetz es verbietet, Nutzerprofile zu personalisieren. Ich habe die Gefahren der Monopolisierung von Daten und Information bereits ausführlich am Beispiel von Google veranschaulicht und möchte mich hier nicht wiederholen. Nur so viel: Eine freie Gesellschaft ist Grundvorraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften. Egal wie gewinnträchtig ein Geschäftskonzept erscheint: Sobald es systematisch meine Privatssphäre verletzt, muss es eben ein Konzept bleiben.

Wir können es besser

Ich will einfach nicht akzeptieren, dass wir wirtschaftlichen Fortschritt nur mit der Aufgabe unserer Privatsphäre erkaufen können. Google und Facebook sind keine erstrebenswerten Vorbilder, sondern gigantische Risiken für unsere freie Gesellschaft. Gute und strenge Datenschutzgesetze sind kein Wettbewerbsnachteil, sondern Voraussetzung für einen freien Markt. Ich will Kunde sein, nicht Produkt.

Natürlich gibt es schlechte Gesetze. Die Cookie-Richtlinie, die für jeden Cookie, der nicht technisch notwendig ist, eine ausdrückliche Einwilligung verlangt, ist ein Beispiel für schlechte Überregulierung. Solche Beispiele spornen mich aber eher an, für einen klugen und besseren Datenschutz zu kämpfen, als ihn komplett über Bord zu werfen. Ich möchte den Unternehmen, bei denen ich kaufe, vertrauen können, ich möchte auf Webseiten und Blogs surfen, ohne Angst zu haben, dass meine daraus erstellen Interessenprofile eines Tages gegen mich verwendet werden. Und ich möchte, dass jeder Blog, jedes Unternehmen und jeder Kunde sich darum bemüht, dass genau das passiert! Noch haben wir Alternativen zu Google, Facebook und Co. Noch können wir wählen zwischen Whatsapp und Threema, zwischen Google Analytics und Piwik, zwischen Produkten, die mich auf ein Werbeprofil reduzieren und Angeboten, die meine Privatsphäre schonen.

Datenschutz kostet manchmal 1,99 € mehr. Manchmal heißt Datenschutz, nicht auch das letzte bisschen Information aus einem Webseitenbesuch herauszuquetschen. Aber ich bin mir sicher, dass unsere freie und selbstbestimmte Gesellschaft diese Mühen wert ist.

See you in the comments!

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