Android Apps auf Chrome OS: Googles goldener Mittelweg?

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Die Eröffnungs-Keynote der Google Jahreskonferenz hatte für Gadget-Fans dieses Jahr eher wenig zu bieten. Es gab neue unheimliche smarte Messenger-Apps, Details zu den kommenden Android-Updates sowie Neues zu Googles Plänen für Virtual Reality. Alles nicht unspannend, aber für den gemeinen Konsumenten auch keine Highlights. Wer die Keynote nicht Live verfolgen konnte, dem empfehle ich übrigens den 10-Minuten-Zusammenschnitt von The Verge.

Viel interessanter fand ich – wie viele Techblogger – das, was Google in einer der kleinen Sessions nach der Haupt-Keynote verkündete: Chrome OS wird in wenigen Wochen dazu in der Lage sein, Android Apps auszuführen: Nativ, ohne Anpassung durch Entwickler und im klassischen Fenstermodus, wie man es von normalen Desktop-Systemen kennt.

Für sich allein genommen ist das bereits ein fantastische Nachricht für alle Computer-Einsteiger, die nicht viel mehr als Browser, ein paar Apps, Spiele und rudimentäre Dateiverwaltung benötigen. Chrome OS ist damit – soweit ich das derzeit absehen kann – mit einem Schlag zu einer echten Alternative zu Mac OS X und Windows 10 geworden. Für mich ist diese Entwicklung aber noch viel mehr: Sie zeigt, vor welchem Dilemma die etablierten Hersteller mit ihrem klassischen, behäbigen Desktop-Vermächtnis stehen.

Vom Einfachen zum Komplexen

Aktuell gibt es noch eine klare Grenze zwischen klassischen Betriebssystemen (Windows 10, Mac OS X) und modernen Betriebssystemen (Android, iOS). Die klassischen Systeme bieten komplexe Dateiverwaltung, hochspezialisierte Anwendungen und paralleles Arbeiten in verschiedenen Programmfenstern. Sie sind ausgelegt auf präzise Bedienung mit der Maus und benötigen deutlich mehr  Ressourcen als ihre modernen, mobilen Konkurrenten. Mobile Betriebssysteme hingegen sind schlank, übersichtlich und darauf ausgelegt, via Single-Tasking Basisbedürfnisse zu erfüllen.

Aber der Umsatz mit klassischen Desktop-Systemen sinkt. Kaum jemand braucht noch die vielseitigen Möglichkeiten eines vollwertigen klassischen PCs. Das bedeutet zwar nicht, dass sich die Bedürfnisse von IT-Nutzern grundlegend geändert haben. Textverarbeitung, E-Mail, Bildbearbeitung, Browser und Dateiverwaltung sind damals wie heute die Bedürfnisse der Anwender. Nur können moderne Systeme diese Bedürfnisse eben sehr viel simpler und schneller erledigen. Trotzdem haben moderne Geräte wie etwa Tablets den PC auch nicht völlig abgelöst. Ganz im Gegenteil: iPad und Tablet konnten die Versprechen der „Post-PC-Ära“ nicht gänzlich einlösen. Bei allem Komfort moderner Betriebssysteme kommt derzeit eben noch zu oft das Gefühl auf:

„An einem richtigen Computer mit Dateimanager, Maus und Fenstern würde ich mich jetzt wohler fühlen“.

Android und iOS haben uns in eine Zwickmühle gebracht. Sie haben uns gezeigt, wie komfortabel, einfach und unkompliziert das Arbeiten mit Computern sein kann. Aber sie haben uns auch gezeigt, dass sie allein noch nicht weit genug sind, um klassische Desktop-Nutzung hunderprozentig zu ersetzen. Auf diese Erkenntnis reagieren Apple, Microsoft und Google nun ganz unterschiedlich.

Surface 3 - Type Cover Blau

Microsoft versucht bisher, sein klassisches System moderner zu machen.

Microsoft nähert sich dem Problem derzeit von der komplexen Seite. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Vereinfachung des erwürdigen Desktop-Windows. Universelle Apps, Kacheln, Action Center und ein zusätzliches, einfacheres Einstellungen-Menü sollen dem behäbigen Windows 10 die Frische verleihen, die dem Desktop-System bisher fehlte. Das Ergebnis ist derzeit aber noch ein Nebeneinander von Alt und Neu sowie ein Mitschleppen von viel Ballast. Auf kleineren Tablets, wie dem Dell Venue 8 Pro (Testbericht in Kürze), kann Windows 10 zwar mobile Flexibilität vortäuschen, wird im Hintergrund aber durch das ineffiziente Erbe des „vollwertigen Windows“ gehörig ausbremst.

Auch Continuum, Microsofts Geheimwaffe, ändert daran mittelfristig wenig. Dessen Versprechen, universelle Windows Apps desktop-artig über das Smartphone laufen zu lassen, wird derzeit noch viel zu sehr durch das magere Angebot an universellen Apps und die Leistungsgrenzen der Windows Phones gehemmt. Langfristig stellt sich bei Continuum zudem die für Microsoft knifflige Frage des Nebeneinanders von ARM- und x68-Architektur.

iPadPro

Apple hingegen setzt darauf, sein mobiles System um Pro-Fähigkeiten zu erweitern.

Apple hingegen sieht sein Glück derzeit noch in iOS und beantwortet den Ruf nach gehobenen Ansprüchen mit dem iPad Pro. Apple glaubt, seinem simplen iOS schlicht durch ein größeres Display, mehr Power und Multitasking-Ansätze die nötige Desktop-Credibility verpassen zu können. Dass das meiner Meinung nach nicht reichen kann, habe ich jüngst in meinem Artikel über den noch immer fehlenden Dateimanager in iOS erklärt. Trotzdem scheint mir Apples Weg tendenziell erfolgversprechender: Statt Mac OS X unter ähnlichen Geburtsschwierigkeiten wie Microsoft nachträglich mit Blick auf die veränderten Bedürfnisse der Kunden zurecht zu stutzen, versucht Apple lieber sein schlankes System um die nötigen Pro-Fähigkeiten zu erweitern.

Google findet die goldene Mitte?

Googles Chrome OS hingegen scheint derzeit den idealen Mittelweg zu beschreiten. Es ist schlank genug, dass es auch auf schwacher Hardware tadellos läuft. Es wurde von vornherein auf Touch ausgelegt. Und der Aufwand, die mobile Android-Vielfalt auf das Desktop-System zu bringen, ist vergleichsweise gering. Gleichzeitig hat Google dem System von Anfang an schon klassische Desktop-Gene mitgegeben: Die Bedienung per Maus und Trackpad wurde von Beginn an berücksichtigt und das Arbeiten in Fenstern und der Zugriff auf das Dateisystem frühzeitig ergänzt. Damit ist Chrome OS theoretisch sowohl Microsoft als auch Apple voraus: Microsoft schlägt man bei der Effizienz und Apple in Sachen Produktivität.

Dass Chrome OS bisher keine echte Konkurrenz war, lag schlicht daran, dass man momentan eben doch nicht einzig mit einem Browser arbeiten kann. Bisher! Wenn jetzt Office, E-Mail und Photoshop Express nativ auf Chrome OS laufen, dann zieht es auf einen Schlag mit Microsoft gleich. Der bisherige Vorsprung von Windows 10 war dessen Programmvielfalt. Dieser Vorsprung würde praktisch (abgesehen von einigen Profi-Anwendern) auf Null schmelzen. Und obwohl Chrome OS den App-Vorsprung, den Apple durch das hochwertige iOS-Ökosystem noch hat, nicht gleichermaßen einholen kann, würde es mit seinem produktiveren Unterbau jedenfalls deutlich flexibler sein als ein iPad Pro mit seinem aufgeblasenen Simple-OS.

Ich selbst habe Chrome OS noch nicht dauerhaft im Alltag genutzt, einfach weil mir „nur ein Browser“ bisher dann eben doch zu wenig war. Ich stehe aber auf der Warteliste für ein Dell Chromebook 13 und ein HP Chromebook 13. Beides sind Geräte deutlich unterhalb der Preisgrenzen aktueller Surface Tablets, dem iPad Pro oder den Macbooks. Beide werden in naher Zukunft aber mit einem hochwertigen App-Angebot aufwarten können ohne dabei grundlegende Desktop-Fähigkeiten zu ignorieren.

HPChromebook13

Chromebooks: Mit Android-Apps ernste Konkurrenten für Windows und Mac?

Aktuell bin ich noch überzeugter Mac OS X Nutzer. Das Apple Betriebssystem empfinde ich als deutlich pflegeleichter im Vergleich zu Windows 10. Gegenüber einem iPad Pro hingegen bietet Mac OS X die klassischen Vorteile eines Desktop-OS mit Programmfenstern und Dateizugriff. Trotzdem ist ein Macbook im Grunde aber bereits mehr als ich brauche. Wenn ich privat am Rechner sitze, dann läuft Spotify, dann habe ich ein paar Browserfenster offen, eine Word-Datei in Arbeit und vielleicht tickert Twitter nebenbei. Das ist Nichts, was ein Chromebook mit Android Apps nicht genauso hinkriegen müsste. Ganz im Gegenteil: Ich möchte fast sagen, dass mit Hilfe der Android Apps Chrome OS die Notwendigkeit, sich einen günstigen Windows- oder Mac-Rechner zu kaufen, praktisch beseitigt hat.

Derzeit gibt es natürlich noch einige Unsicherheiten. Nicht alle Chromebooks scheinen die Android App Unterstützung zu erhalten und das Android App Angebot hat schon auf Tablets große Probleme. Man wird auch sehen müssen, wie wenig Arbeit die App-Entwickler tatsächlich in ein angenehmes Chrome OS Feeling werden stecken müssen. Vor allem aber kommen mit lokal gespeicherten Apps genau die Dinge auf Chrome OS zu, die bisher kostengünstig ignoriert werden konnten: Lokaler Speicherplatz und ein Minimum an Rechenleistung. Sollte es am Ende so kommen, dass nur sündhaft teure Maschinen wie das Chromebook Pixel in den Genuss der Apps kommen, wäre natürlich nichts gewonnen. Davon ist aber auch nicht auszugehen, wie die Liste der ab Juni offiziell Android-fähigen Chromebooks zeigt.

In jedem Fall ist Googles Chrome OS Update für mich der größte Angriff auf die Desktop-Herrschaft von Windows und Mac OS X seit Langem, wenn nicht sogar der erste ernstzunehmende überhaupt. Davon auszugehen, dass dem nicht so ist, könnte eine Fehleinschätzung Blackberry-artiger Ausmaße sein.

See you in the comments!

 

 

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