LG G Watch und Android Wear im Test
|Android Wear ist unter uns. Aus der langen Wartezeit ist endlich Handfestes geworden. Die Ankündigung im März 2014 hatte die Phantasie und die Hoffnung der Technikfans derartige Blüten treiben lassen, dass die ersten Android Wear Uhren fast vor unerfüllbaren Aufgaben standen. Nun ist Android Wear endlich Realität und ich habe es in Form der LG G Watch die letzten 2 Wochen ausführlich im Alltag getestet. Kann Google die großen Hoffnungen auf das „next big thing“ erfüllen und wie schlägt sich LGs Hardware? Finden wir es heraus.
Die LG G Watch: die Nexus Uhr
Die LG G Watch gehört neben der Samsung Gear Live zu den bisher einzigen beiden verfügbaren Android Wear Uhren. Die sagenhafte Moto 360 lässt noch auf sich warten und Motorola vertröstet nach wie vor auf Verfügbarkeit „im Sommer“. Deshalb habe ich mich entschieden, Android Wear in Gestalt der LG G Watch auszuprobieren und bedanke mich recht herzlich bei LG für die Bereitstellung des Testexemplars.
Die Samsung Uhr schien mir doch etwas zu überladen und auf die merkwürdige (scheinbar recht bruchanfällige) Ladeklammer sowie den Pulsmesser der Gear Live hatte ich auch keine rechte Lust. Die LG G Watch hingegen empfinde ich als schlichtere Lösung ohne Gimmicks: Direkt auf den Punkt macht die LG G Watch die Bühne völlig frei für das eigentliche Highlight, die Software. Trotzdem gibt es über die Hardware selbst Einiges zu sagen.
Das Gehäuse selbst ist wenig mehr als ein schwarzes Rechteck mit einem Display an der Front und einem Armband an den Seiten. Während das Design der LG G Watch allgemein als unaufregend bis langweilig bezeichnet wird, finde ich es eigentlich recht charmant. Im Vergleich zur Pebble Steel ist das Design natürlich wirklich sehr schlicht, aber immerhin ist es sauber verarbeitet, trägt sich angenehm und fühlt sich mit der Metal- und Kunststoffverarbeitung auch sehr solide an. Mit einem gewechselten Armband lässt sich aus der LG G Watch durchaus optisch etwas herausholen.
Das Display ist für die Gehäusegröße eher klein (diese Problem teilt die LG G Watch mit der Pebble) und löst mit 280 x 280 (240 PPI) auch nicht auf mittlerweile gewohnten Schärfegraden auf. Zusätzlich sind auch Blickwinkel, Farbtreue und Kontrast kaum auf lobenswertem Niveau. Unter Sonnenlicht ist das Display zudem selbst auf höchster Helligkeitsstufe praktisch nicht ablesbar. Das betrifft sowohl den dezent abgedunkelten „Always-On“-Modus, als auch den helleren Aktivmodus. Andererseits ist das Display selbst auf niedrigster Helligkeit nachts unangenehm blendend. Die Touchbedienung sorgt zudem dafür, dass man stets Fettfinger auf der Uhr hat – ein konzeptioneller Nachteil der Kombination aus Uhr und Touchscreen. Trotzdem: Drinnen macht das farbige Display erstaunlich viel Spaß, Benachrichtigungen lassen sich spielerisch wegwischen und die bei der Musiksteuerung im Hintergrund angezeigten Albumcover sorgen für weiteren optischen Bonus. Zum Display lässt sich daher im Grunde nur sagen, dass es zwar seinen Job gerade so erfüllt, aber in Zukunft eines der Upgrade-würdigsten Bauteile sein wird (und machen wir uns nichts vor: die LG G Watch 2 dürfte bereits so gut wie fertig sein).
Der Akku erweist sich wenig überraschend nicht als Langläufer. Er ist wie berichtet nach etwas über einem Tag am Ende. Allerdings ist das insoweit nur halb so schlimm, als dass das Laden dank des nur 400 mAh großen Akkus recht schnell (unter einer Stunde) geht und die Ladung wirklich auch bei deutlicherer Nutzung den Tag durchsteht. Ich kam jedenfall öfter mit ca. 30 % nach Hause, als dass ich nachmittags bereits Akkuwarnungen zu sehen bekam. Ich würde die Laufzeit daher klar auf 1 1/2 Tage beziffern, mehr ist aber definitiv nicht drin. Im Alltag war der Akku jedenfalls weniger nervig als zunächst befürchtet. Auch finde ich die Ladekonstruktion weniger umständlich als erwartet. Während alle Welt bei der Moto 360 auf drahtloses Laden wartet, frage ich mich, wo da der großer Unterschied zum Ladesystem der LG G Watch ist. Die klebt schließlich auch nur magnetisch auf der Ladeschale und kann mit ähnlich geringem Aufwand rein- und herausgenommen werden. Die Uhr lässt sich übrigens auch ohne Ladenschale anschalten, indem der kleine Reset-Pin auf der Rückseite gedrückt wird (Danke an einen Leser für den Hinweis). Würde ich heute gefragt, ob der Akku ein K.O. Kriterium ist, würde ich tatsächlich sagen: Nein.
Leider gibt es aber bereits Gerüchte, dass die Ladekontakte nach einigen Wochen deutliche Anzeichen von Korrosion zeigen. Dies scheint daran zu liegen, dass die LG G Watch die Ladeströme nicht ideal kontrolliert und ein entsprechendes Update von LG soll bereits in der Mache sein. Ich werde das Review ergänzen, sobald sich da etwas tut.
Der Vibrationsmotor ist übrigens angenehm unauffällig und satt und die Bluetooth-Reichweite geht auch in Ordnung, erscheint mir aber im Grenzbereich etwas weniger stabil als die der Pebble. Alles in allem zeigt sich die Hardware also weitgehend als sehr unauffällig. Den Titel „Nexus Uhr“, den ihr einige Kommentatoren verliehen haben, passt daher recht gut. Das Display offenbart zwar wie erwartet deutliche Schwächen und der Akku erfordert einiges an Kompromissbereitschaft. Abseits dieser Probleme kann man die Hardware aber durchaus loben. Ich war insgesamt jedenfalls weit positiver überrascht, als ich es erwartet hatte.
Android Wear: Licht und Schatten
Kommen wir also zur eigentlichen Hauptattraktion. In meiner Review zur Pebble Steel hatte ich ja bereits gesagt, dass ich die Pebble derzeit aus verschiedenen Gründen noch bevorzuge. Die längere Akkulaufzeit und das in der Sonne deutlich besser ablesbare Display sind mir im Alltag sehr wichtig geworden. Allerdings ist die Hardware bei Android Wear eben nicht der eigentliche Star. Es ist die Software, die uns alle neugierig macht, und dort spielt Google all seine Stärken aus. Nach nun 2 Wochen erkenne ich an: Hier wächst etwas Großes heran.
Die Stärken
Gegenüber Pebble und allen anderen Systemen hat Android Wear den ganz klaren Vorteil, dass es tief in das Betriebssystem des Smartphones integriert ist. Das macht sich an vielen Stellen bemerkbar, wie etwa der Qualität der Benachrichtigungen und der Interaktion mit ihnen. Wo die Pebble ganz stumpf alles wiedergibt, was sich in der Statusleiste tut, ist Android Wear smarter. So zeigt die Pebble etwa bei der offiziellen Twitter App auch die Benachrichtigungen „Tweet wird gesendet“ und „Tweet gesendet“ an: beides sinnlos. Android Wear hingegen ist klüger und filtert derartigen Unsinn heraus. Stattdessen sind die Benachrichtigung meist tadellos formatiert und zeigen zusätzlich ein passendes Hintergrundbild an. Ein anderes Beispiel sind Herstelleranpassungen wie HTC Sense oder Touchwiz. Diese Hersteller-Modifikationen von Android führen teilweise dazu, dass dessen mitgelieferte Apps nur so etwas wie „Neue E-Mail“ anzeigen. Entsprechendes zeigt dann auch nur die Pebble an. Android Wear hingegen zeigt den gesamten Inhalt an. Erneut macht sich die bessere Integration in Android bemerkbar. Zudem benötigt Android Wear keinerlei Zusatzapps, während die Pebble jedenfalls bei Android ohne Zusatzapps wie Pebble Notifier nur sehr abgespeckten Funktionsumfang liefert (mehr zum Zusammenspiel zwischen Pebble und Android lest ihr in meiner ausführlichen Review: Pebble 2.0 Review und Vergleich: iOS, Android und WP8).
Zusätzlich bieten die meisten Interaktionen auch einen Rückkanal. Damit kommen wir auch direkt zur zweiten Stärke: Der Spracheingabe. Auf die meisten Nachrichten lässt sich direkt von der Uhr antworten und Fragen wie „Wo bin ich“ beantwortet die Uhr mit einer korrekten Positionsangabe. All das funktioniert natürlich nur über Bluetooth zum Android Smartphone. Die LG G Watch hat weder eigene GPS- noch Datenverbindungen. Android Wear fügt sich insgesamt einfach nahtlos in das Android Ökosystem ein, arbeitet mit ihm zusammen und erweitert das Smartphone um mehr als nur einen „Second Screen“ zum Anzeigen der Benachrichtigungen.
Das Betriebssystem macht insgesamt bereits einen recht ausgewachsenen Eindruck. Details wie die „Runterwischgeste“, die Vibration an- und ausschaltet oder das kleine Wolkensymbol, das Verbindungsverlust signalisiert, sind gut durchdacht und insgesamt läuft das System bereits angemessen flüssig. Die jetzt schon gute Integration in Googles Standarddienste wie Erinnerungen, Notizen und Kalender ist nützlich. Das Ökosystem um Android Wear hat zudem bereits ordentlich Fahrt aufgenommen. Die Anzahl der verfügbaren Apps nimmt stetig zu und dank der Touchbedienung sind Apps wie Rechner, Mini-Kalender und auch Spiele gar nicht mehr so lächerlich, wie man sie anfänglich wahrnehmen könnte. Die Installation und Auswahl weiterer Watchfaces (eigentlich Kern der Uhren-Funktionen) ist derzeit aber leider noch etwas mau.
Die Schwächen
Viele der gerade genannten Stärken stehen spiegelbildlich allerdings auch für gewisse Schwächen.
Obwohl die optische Anlehnung an Google Now mit all den Benachrichtigungs-Karten nämlich viel Spaß macht, ist die Umsetzung doch noch nicht hunderprozentig stimmig und sorgt vereinzelt für etwas Verwirrung. Wischt man beispielsweise Benachrichtigungen einmal weg, kommen sie niemals wieder. Und da gleichzeitig auch die Benachrichtigungen auf dem Smartphone als gelesen markiert werden, kommt es durchaus vor, dass man sich später fragt: Was war da noch? Hier würde ich mir wünschen, dass es eine zentrale Benachrichtigungs-Speicherstelle gibt, wo ich später noch einmal nachsehen kann, was alles an Nachrichten auf meiner Uhr einging (Diese Möglichkeit lieferte Pebble mit Version 2.0 der Firmware ebenfalls nach). Die eigentlich enge Verknüpfung mit Android ist zudem auch eine klare Absage an iOS. Wer plattformübergreifend Wearables nutzen will, der guckt bei Android Wear (derzeit) in die Röhre. Eine eigenständige Android Wear App halte ich aber nicht unbedingt für unmöglich, wenn man bedenkt, wie gut Google auf iOS bereits vertreten ist.
Etwas unzuverlässig finde ich auch die Anordnung und das Verhalten der Karten. Ich habe bisher noch kein nachvollziehbares System erkennen können und das macht das gezielte Auffinden bestimmte Mitteilungen manchmal etwas schwierig. Das Wetter lässt sich so nicht immer aufrufen, sondern nur alle paar Stunden, wenn Google es an der Zeit findet, es mir anzuzeigen. Zudem sind die Mitteilungen nur manchmal mit einem Tipp erweiterbar und zeigen die gesamte Nachricht an, manchmal hingegen nicht. Das dürfte zum größten Teil aber auch an den App-Entwicklern liegen.
Die Sprachsteuerung neigt außerdem dazu, den Sprecher zu schnell abzuwürgen. Aus der Antwort auf eine SMS wird deshalb schnell ein abgerissener und missverständlicher Sprachfetzen. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass viele Nutzer durch die Sprach-Einbahnstraße verwirrt werden und nach der Frage an Google oder der Annahme eines Telefonats auch erwarten, dass der Ton nun aus der Uhr kommt (während der Gesprächspartner im Rucksack ratlos nach dem Gegenüber fragt).
Zuletzt habe ich nach wie vor die gleichen Bedenken hinsichtlich der Touch-Bedienung, die ich bereits in meiner Pebble Steel Review geäußert habe. Das Aufrufen und Wegwischen der Informationen auf dem Display erfordert stets eine bewusste und gezielte Berührung des Displays. Hardwaretasten hingegen ermöglichen eine blinde, taktile Bedienung und das scheint mir derzeit in vielen Situation doch noch etwas komfortabler. Beim Sport etwa oder auf dem Rad kann ich blind die Musik lauter stellen oder eine Benachrichtigung wegschalten. Bei Android Wear muss ich stets etwas Aufmerksamkeit auf die Interaktion zwischen Fingerspitze und Uhrendisplay aufwenden.
Fazit: Android Wear ist da, um zu bleiben
Mein Fazit zur LG G Watch, also der Hardware an sich, lässt sich mit dem Wort „unaufregend“ zusammenfassen. Sie dient als brauchbare Plattform zur Demonstration der Android Wear Software. Die wechselbaren Armbänder sorgen für etwas Abwechslung, aber das Gerät ist und bleibt ein schwarzer kleiner Kasten, den man sich ums Handgelenk bindet. Allen voran die Frage, wie die Hersteller die Abhängigkeit von farbigen Touchscreens mit guter Outdoor-Ablesbarkeit und längerer Akkulaufzeit vereinen wollen, wird eine bleibende Herausforderung sein. Trotzdem: Immerhin nimmt sich LG mit verspielten Gimmicks zurück und konzentriert sich aufs Wesentliche. Die LG G Watch macht die Bühne komplett frei für den eigentlichen Star: Die Software. Insoweit macht LG also schon viel richtig und liefert ein minimalistisch schlichtes Gerät, das den meisten Interessierten eine gute Plattform bietet, um Android Wear zu erleben. Für ausgefeiltere Hardware wird dann sicherlich die Generation 2 zuständig sein.
Zur Software fällt das Fazit ähnlich zweispältig aus. Nachdem ich sehr lange mit der Pebble und der Pebble Steel gelebt habe, ist das farbige Display mit Touch-Eingabe in jedem Fall eine aufregende Neuheit. Die bunte Touchbedienung, die nahtlose Integration mit Android und die Spracheingabe machen Lust auf mehr. Besonders das gute Zusammenspiel mit Android macht Spaß und lässt mich die diesbezüglichen Macken bei Pebble um so deutlicher spüren. Ich sehe aber auch noch einige Schwächen. Nicht immer empfinde ich das Angebot der Google Now Karten völlig nachvollziehbar und besonders eine zentrale Benachrichtigungs-Sammelstelle wäre in Zukunft nützlich. Aber ich bin sicher, dass Google bereits eifrig an den noch rauen Ecken feilt und auch Pebble ist schließlich nicht über Nacht zu dem ausgereiften System geworden, das es heute ist.
Was würde ich nach alledem Interessierten raten, die heute in Android Wear reinschnuppern wollen? Anders als viele andere Reviewer sehe ich bereits jetzt viel Nützliches in Android Wear und denke, dass die LG G Watch bereits jetzt nicht nur Techniknerds und Early-Adopter anspricht. Wer das tägliche Aufladen in Kauf nehmen und mit der miesen Outdoor-Tauglichkeit leben kann, der kriegt eine wirklich nützliche Ergänzung zu seinem Android Smartphone.
Mich hat die LG G Watch und Android Wear jedenfalls nicht nur ganz allgemein, sondern auch als Pebble Nutzer positiv überrascht und so viel ist klar: Android Wear ist hier, um zu bleiben. Was denkt ihr? Wie sind eure Erfahrungen mit der LG G Watch und Android Wear? See you in the comments!
Ich bin Malte, der Chefredakteur hier bei DeathMetalMods.de. Ich bin beruflich als Jurist tätig und lebe in diesem Blog meine Lust an Technik, digitaler Welt und Gadgets aus. Ich schreibe hier die meisten Artikel und organisiere die Arbeiten im Hintergrund. Ihr findet mich auch privat bei Mastodon und Twitter.
Sehr gutes Review, das ich so unterschreiben würde. Ach ja, ausgezeichneter Musikgeschmack noch dazu 😉 Werde jetzt öfter vorbeischauen 😉
Gruß,
Matze
Das freut mich!
Und ja: Das Schöne am eigenen Blog ist auch, dass man seinen eigenen Musikgeschmack durchschimmern lassen kann 😉 Wobei Amon Amarth wirklich nur zufällig lief – will mich da nicht auf Humpa-Humpa-Viking-Metal festlegen lassen 😉