Vier Monate nach iOS 8: Wo bleibt die neue Freiheit?

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Als Apple im Juni 2014 die achte Version von iOS vorstellte, weckte das bei mir ganz neue Hoffnungen auf einen radikalen Kurswechsel bei Apple. In meiner Zusammenfassung zur WWDC 2014 sprach ich davon, dass Apple sich jedenfalls ein bisschen öffnen würde. Als iOS 8 dann im September 2014 für unterstützte Geräte offiziell veröffentlicht wurde, war mein Feedback ebenfalls recht positiv. Dank der Drittanbieter-Tastaturen, einem erweiterten Teilen-Menü und den Widgets in der Nachrichtenzentrale wagte ich zu hoffen, dass die Tage des ewig gleichen, öden und beengten iOS gezählt sein würden. Vier Monate später sinkt meine Hoffnung aber zusehends, dass sich mit iOS 8 wirklich die erhoffte Öffnung einstellen wird: Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Drittanbieter-Tastaturen: Holpriger Start

Ich habe die Tastatur der iOS-Geräte immer gern genutzt. Die Tatsache, dass iOS seit eh und je Bildschirmeingaben priorisiert, verlieh iOS schon immer ein sehr reaktionsschnelles Gefühl. Zusammen mit den seit iOS 6 verfügbaren Umlauten direkt auf der Tastatur hatte ich eigentlich nie wirklich was zu meckern. Einzig der mittlerweile etwas eingeengte Platz auf den 4 Zoll Geräten, wie dem iPhone 5C, macht es mir schwer, längere Texte mit einem iPhone zu schreiben. Als iOS 8 veröffentlicht wurde, hat mich also eher meine Neugier dazu getrieben, die neuen Drittanbieter-Tastaturen auszuprobieren.

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Tastaturen: Nur mit Vollzugriff brauchbar

Der erste Eindruck war allerdings sehr durchwachsen: Die Tastaturen, die ich probiert habe (Swype und Swiftkey), wirkten äußerst fehleranfällig. Entweder gab es Verzögerungen bei der Eingabe, die Tastatur lud nicht richtig oder wurde aus irgendwelchen Gründen durch die Standard-iOS-Tastatur verdrängt. Nachdem Apple ankündigte, seine altehrwürdige Tastatur etwas in den Hintergrund treten zu lassen, hatte die iOS-Community zurecht erwartet, dass die dafür notwendige Einbindung von Dritt-Tastaturen mit Apple-typischer Eleganz erfolgen würde. Stattdessen wirkte die Einbindung der Tastaturen lange wie ein unfertiges Beta-Produkt. Von Apple hätte ich eine deutlich rundere Integration erwartet. Nach den Versionensprüngen auf mittlerweile Version 8.1.2 und einigen Updates der Apps hat sich die Situation zwar verbessert, aber um den echten Mehrwert der Tastaturen zu nutzen (insbesondere die Wischgesten), ist bei Swiftkey und Swype der sogenannte Vollzugriff nötig. Über das vermeindliche Risiko dieses Vollzugriffs ist bereits viel gesagt worden und ich will das Thema hier auch nicht erneut aufbrühen. Wer mit den Unsicherheiten hinsichtlich Datenschutz leben kann, der bekommt mittlerweile wirklich sehr brauchbare Tastaturen unter iOS. Trotzdem wundert es mich, dass Apple bei der Integration der Dritt-Tastaturen nicht gewisse Vorgaben gemacht hat, was die Basisfunktionen angeht. Auch bei der Health-App hat Apple ja von vornherein sehr strenge Datenschutzvorgaben gemacht. Zusammen mit der eher versteckten Aktivierung der Dritt-Tastaturen wirkt die Einbindung durch Apple doch eher wie eine Pflichtübung als ein leidenschaftlich eingebundenes Software-Feature.

Das Teilen-Menü: Von Entwicklern unbeachtet

Viel gespannter war ich auf die Öffnung des Teilen-Menü. Seit meinen ersten Stunden mit iOS nervt mich die Tatsache, dass Apple nur einige wenige Apps in sein Teilen-Menü einbindet. Will ich ein Bild zu OneDrive hochladen, kann ich das nicht aus der Foto-App von iOS tun. Genauso kann ich keine Videos via Threema direkt aus der Foto-App versenden. Stets muss ich in die passende App gehen und dort das Bild auswählen. Android und Windows Phone 8 hingegen binden die Apps direkt in das Teilen-Menü ein und erleichtern daher meinen Arbeitsablauf erheblich.

und Kontrolle darüber, welche Dienste ich nutze.

Seit Release von iOS 8 kaum Zuwachs im Teilen-Menü

Deshalb habe ich mich wahnsinnig gefreut, als Entwickler mit iOS 8 die Möglichkeit erhielten, die eigenen Apps in das iOS-Teilen-Menü einzubinden. Nach 4 Monaten ist das Fazit leider ernüchternd. Noch immer sind nur Microsoft (mit OneNote) und Google (mit Google Plus) in meinem Teilen-Menü verfügbar. Kein Threema, kein OneDrive, kein Skype, kein IM+, kein Hangouts. Natürlich liegt die Verantwortung hier bei den Entwicklern, aber die Vergangenheit hat in beeindruckender Weise gezeigt, wie schnell sie gewöhnlich neue Funktionen von iOS aufgreifen. Dass die Einbindung in das Teilen-Menü bisher nicht wirklich Fahrt aufgenommen hat, ist dabei um so irritierender, weil die Technikszene weltweit jahrelang genau nach genau solch einem Feature gerufen hat. Dass trotz allem so wenige Entwickler mitmachen, weckt in mir zwei Befürchtungen:

Entweder ist die Einbindung dieser Funktion schwieriger als gedacht oder die iOS Szene sehnt sich tatsächlich deutlich weniger nach dieser neuen Freiheit, als ich es selber tue. In ersterem Fall darf man fragen, wie ernst Apple es selbst mit dieser Funktion meint, denn – so meine Erfahrung – wenn Apple ein neues Feature wirklich pushen will, dann schafft Apple das gemeinhin auch. Im zweiten Fall würden natürlich haufenweise Vorurteile über die iOS-Nutzerschaft bestätigt und der Eindruck entstehen, dass die Apple-Jünger sich tatsächlich in ihrem beengten Betriebssystem  sehr wohlfühlen.

Widgets: Apples ungeliebtes Kind

Die dritte große Neuerung in iOS 8, die eine bemerkenswerte Abkehr von der alten, engen Apple-Philosophie versprach, war die Möglichkeit, Widgets in die Benachrichtigungszentrale einzubinden. Entwickler können ihren Apps jetzt Code-Bestandteile mitgeben, die gewisse Teile der App in der Benachrichtigungszentrale anzeigen und so auf einen Blick wesentliche Infos bieten, ohne die App tatsächlich öffnen zu müssen.

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Leider doch kaum Mehrwert: Widgets

In der Praxis scheint mir diese Funktion diejenige zu sein, die am Apples Angst vor der eigenen Courage am klarsten zeigt. Während Drittanbieter-Tastatur entwicklerseitig noch verbessert werden konnten und das Teilen-Menü schlicht nicht besonders nachgefragt scheint, werden die Widgets von Apple regelrecht aktiv behindert. Seit dem Start von iOS 8 häufen sich Fälle, in denen Apple App-Entwicklern dieses oder jenes Widgets untersagt, doch wieder erlaubt, doch wieder untersagt und so weiter. Der Eindruck vieler ist, dass Apple selbst nicht genau zu wissen scheint, wie man mit dieser neuen Freiheit umgehen soll.

Nach 4 Monaten hat es bei mir jedenfalls kein Widget dauerhaft in die Benachrichtigungszentrale geschafft, weil die Funktionen dort entgegen meiner ersten Erwartungen einfach nicht wertvoll genug sind, als dass ich dafür jedes Mal die Zentrale herunterziehen würde.

Halbherzige Öffnung

Fairerweise muss ich sagen, dass Apple nie davon gesprochen hat, sein Betriebssystem offener zu gestalten. Allerdings hat Apple mit den neuen Funtkionen in iOS 8 jedenfalls bei mir und vielen anderen genau diese Erwartung geweckt. Widgets, Dritt-Anbieter-Tastaturen und ein offenes Teilen-Menü sind kombiniert derart deutliche Kehrtwendungen in der Geschichte von iOS, dass ich nicht anders konnte, als zu erwarten, dass Apple erkannt hätte: Das System „goldener Käfig“ hat seinen Zenit überschritten.

Nach 4 Monaten mit iOS 8 sehe ich diese Erwartungen nicht als bestätigt an. Statt endlich wie bei Windows Phone 8 und Android durch das Ziffernfeld wischen zu können, ärgere ich mich bei den Drittnbieter-Tastaturen über unnötige Funktionsbeschneidung bei versagtem Vollzugriff. Statt endlich von überall Medien an meine Threema-Kontakten zu senden oder zu OneDrive hochzuladen, bleibt es beim bekannten App-Gehüpfe. Statt Widgets mit Mehrwert gibt es aktuell ein Lippenbekenntnis von Apple und einen in der Praxis kaum vorhandenen Gewinn an Funktionen. Keine Frage: Dem Großteil der iOS-Nutzer bietet Apple nach wie vor mehr als nötig. Der bewährte Fokus auf einheitliche Bedienung und Stabilität bleibt die dominierende Stärke von iOS. Aber fast 8 Jahre, nachdem Apple mit iOS das mobile Betriebssystem für sich neu erfunden hat, vermisse ich bei Apple die Erkenntns, dass sich auch die eher technikferne Apple-Nutzerschaft weiterentwicklelt. Früher oder später muss man in Cupertino den Schritt zu mehr Offenheit und Freiheit gehen. Mit iOS 8 wurde dieser Schritt bisher nur zögerlich angedeutet.

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