Apple iPhone 6 Rückblick-Review: Was bleibt vom „großen Sprung“?

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Fast 17 Monate ist es her, dass Apple seinem Goldesel einen Wachstumsschub verordnet hat. Nach sieben Generationen von iPhones, die alle 3,5 bis 4 Zoll große Displays trugen, beugte sich Apple im September 2014 dem Druck des Marktes und veröffentlichte mit dem iPhone 6 und 6 Plus Smartphones mit deutlich größerem Display und Gehäuse. Ich gehörte damals zu den Vorbestellern und hatte große Erwartungen, denn insbesondere an den Komfort größerer Displays hatte ich mich durch einige Ausflüge ins Android-Lager gewöhnt. In meinem späteren Review zum iPhone 6 musste ich dann aber viel Unmut Luft machen: Maue Displayschärfe, unhandliche Bauform und Software-Stillstand ließen mich ein harsches Urteil fällen, das letztlich auch zur Retour meiner Bestellung bei Apple führte. 17 Monate später habe ich dem iPhone 6 nun eine zweite Chance gegeben und zu meiner eigenen Überraschung fällt das Urteil durchaus wohlwollender aus. Warum nur?

Meine Kritik im Jahr 2014

Als ich im September 2014 mein eigenes iPhone 6 direkt bei Apple vorbestellte, waren meine persönlichen Nutzungsgewohnheiten noch sehr stark durch das iPhone 5 und das iPhone 4S geprägt. Zwar hatte mich das Nexus 5 seit Anfang des Jahres 2014 mit seinem tollen Preis-/Leistungsverhältnis und dem hochauflösenden Display bereits mit dem Android-Lager sympathisieren lassen. Das damals aktuelle Android 4.4.4. „KitKat“ hatte aber noch nicht die hochwertige Veredelung erhalten, die mit Android 5 „Lollipop“ und später Android 6 „Marshmallow“ Einzug hielten. Ich war also trotz aller Liebäugelei mit Android (und auch Windows Phone) noch sehr im iPhone Lager verwurzelt.

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Damals: Vor etwa 17 Monaten war ich nicht gerade begeistert vom iPhone 6

Das iPhone 6 fiel bei mir dann aber binnen kürzester Zeit mit Pauken und Trompeten durch. Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich mich mehr an den technischen Vorsprung gewöhnt, den ich bei Android und auch Windows Phone kennenlernen durfte, als erwartet. Das Display konnte mit meinen gewachsenen Ansprüche an Schärfe nicht mithalten, das Gehäuse lag wie ein Stück Seife in der Hand und verschwendete unnötig viel Platz. Auch der von mir so geschätzte industrielle Charme der Vorgänger wurde durch ein pummeliges Design ersetzt, das seltsam uninspiriert und bieder wirkte. Bei allen Stärken, die ich Apples Hard- und Software im damaligen Testbericht immer noch attestieren konnte, hatte ich doch erstmals das Gefühl, dass mir das Gebotene nicht den hohen Preis wert war, den Apple bei Release für das iPhone 6 verlangte.

Das iPhone 6 Anfang 2016

Mittlerweile sind etwa 17 Monate vergangen und dem iPhone 6 folgte – ganz dem typischen Apple-Turnus entsprechend – im vergangenen Herbst das iPhone 6S. Statt mit iOS 8 läuft das iPhone 6 mittlerweile mit iOS 9, das unter anderem Support für native Adblocker mitbringt. Vor Kurzem habe ich spontan einen günstige Gelegenheit genutzt, um mein kompaktes iPhone 5S durch ein iPhone 6 zu ersetzen. Die letzten Wochen habe ich deshalb damit verbracht, einen zweiten Blick auf das ehemalige Apple-Flagschiff zu werfen. Dabei habe ich es natürlich auch mit dem verglichen, was sich bis heute (Anfang 2016) bei der Konkurrenz getan hat.

Wie also schlägt sich das iPhone 6 Anfang 2016 im Vergleich zur aktuellen Konkurrenz? Rein äußerlich kann man Apple jedenfalls nicht vorwerfen, dass das iPhone 6 keine Spuren hinterlassen hätte. Das Samsung Galaxy S6 bediente sich schließlich recht großzügig am Designkonzept des iPhone 6 und in Sachen Verarbeitung macht Apple weiterhin ohnehin kaum jemand etwas vor. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Apple mehr denn je ein Problem hat, mit seinem etablierten iPhone-Design zu bestehen. Geräte wie das hinreißende OnePlus X oder das neue Lumia 650 von Microsoft wirken auf mich einfach frischer, was vor allem am deutlich besseren Gehäuse/Display-Verhältnis liegt. Während Apple noch immer viel Gehäuseraum für den großen Home-Button verschwenden muss, setzen viele Geräte diesen Platz etwa für Front-Lautsprecher ein oder verpacken schlicht viel größere Displays in gleich großen Gehäusen. Samsung selbst quetscht in das ähnlich dimensionierte Galaxy S6 ein größeres (und vor allem hochwertigeres) Display und sorgt mit einer griffigen Gehäusekante für den nötigen Grip, der dem specksteinartigen iPhone 6 fehlt.

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Viel Kamera für wenig Geld im Nexus 5X (links)

Nicht wirklich Schritt gehalten hat auch die Kamera, die zwar immer noch extrem zuverlässig, schnell und intuitiv bedienbar ist, deren Fotos aber nicht mehr an den Dynamikumfang und die Brillianz aktueller Konkurrenzgeräte heranreichen. Selbst die hauseigene Nexus-Serie von Google glänzt in dieser Hinsicht längst mit einer Fotoqualität auf mindestens ebenbürtigem Niveau und bietet im Zweifel sogar ein bisschen mehr: Mehr Kontrast, mehr Sättigung und mehr Auflösung. Hier ein Vergleichsfoto zwischen iPhone 6 (links) und Nexus 5X (rechts) in 50 % Größe:

Unübersehbar ist auch der bereits 2014 von mir kritisierte Stillstand in Sachen Displayauflösung. Aus der einstigen Paradedisziplin von Apple ist klarer Rückstand geworden. Jahrelang konnte Apple die Konkurrenz mit seinem Retina-Display, das mit dem iPhone 4 eingeführt wurde, vor sich her treiben. Mittlerweile haben aber selbst Einstiegsgeräte schärfere und in der Bilddarstellung gleichwertige Display. Im High-End-Bereich spielt die Konkurrenz mittlerweile sogar in Regionen, die die Pixeldichte des iPhone 6 fast um das Doppelte überragen.

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Mit 326 PPI schon damals nicht mehr zeitgemäß

Nun dürfte jedem klar sein, dass kaum ein Gerät mit einem ähnlichen Alter wie das iPhone 6 heutzutage besonders schmeichelhaft abschneidet. Aber dem kann ich nur bedingt zustimmen: Bereits Ende 2014 waren etwa Full-HD-Auflösungen bei Smartphones um 5 Zoll etabliert und vor allem: Apple verkauft das iPhone noch immer für happige 630 € aufwärts. Selbst im freien Einzelhandel ist es kaum für weniger als 550 € zu finden. Bei allen guten Gründen, auch heute noch zu einem iPhone zu greifen, wirkt das iPhone 6 für derartige Summen einfach wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Und trotzdem ein Sinneswandel?

Und trotzdem, ja trotzdem, bin ich heute sehr viel versöhnlicher gestimmt, was das iPhone 6 angeht. Das liegt natürlich zunächst einmal daran, dass ich für mein Gerät nur etwa 400 € bezahlt habe. Brandneue und kaum genutzte Geräte landen mittlerweile einfach für sehr gute Kurse bei eBay Kleinzeigen usw. Es ist aber nicht nur der in meinem Einzelfall erträgliche Kaufpreis, sondern die wiederkehrende Erkenntnis, dass man iPhones – trotz aller Zahlenspiele – einfach nicht so einfach mit Android- und Microsoft-Konkurrenten vergleichen kann.

Ich selbst habe einen unbestreitbaren Soft-Spot in meinem Herzen für die iPhones, das Apple-Ökosystem und das zuverlässige iOS-Betriebssystem. Wann immer ich für Testzwecke oder aus Wechsellaune wieder zu einem iPhone greife, stellt sich das Gefühl ein, eine Welt zu betreten in der alles etwas einfacher, hübscher und edler ist. Und genau das ist der Knackpunkt: iPhone-Käufer wählen ihr Smartphone nicht nach einem neutralen Vergleich von Leistungsdaten und technischen Details aus. Für iOS-Nutzer ist die Frage in der Regel einzig: Welches iPhone soll es sein? Ben Thompson von Stratechery.com drückte es kürzlich im TWiT-Podcast so aus:

The common perception is that high-end-android phones compete against the iPhone, but that competition is over. High-end-android phones are simply competing against each other for the very narrow market of android users who are willing to spend a premium price for an android phone.

– Ben Thompson, Stratechery

Käufern eines iPhone ist es meist egal, welche Auflösung die Displays der Konkurrenz oder wieviele Megapixel ihre Fotos haben. Entscheidend ist allein, dass diese technischen Daten ausreichen, um dem eigentlichen Ziel nicht im Wege zu stehen: einem guten Nutzungserlebnis. Aber genau an der Stelle habe ich persönlich in den letzten Monaten bemerkt, dass das iPhone 5S mit seinem 4 Zoll Display, dem kleinen Akku und dem etwas in die Jahre gekommenen A7 Dual-Core Prozessor einfach keinen Spaß mehr macht. Das iPhone 6 hingegen lässt mich iOS in ungeschmälerter Pracht genießen. Das Display ist groß genug, um meine neuen Tippgewohnheiten nicht einzuengen, der Akku hält problemlos bis in den Abend und die verbauten Rechenleistung zaubert das bekannt flinke Bediengefühl auf das Display.

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Trotz aller Kritik: Erst ab dem iPhone 6 macht iOS Spaß

Obwohl ich also noch immer kein Fan der Bauform bin und mir sehnlichtst ein Full-HD Display im 4,7 Zoll iPhone wünschen würde, kann ich zum iPhone 6 mittlerweile immerhin sagen: Ich habe damit deutlich mehr Freude an iOS, als mit dem iPhone 5S. Nach 17 Monaten ist meine neue Milde damit also weniger Ergebnis einer veränderten Wahrnehmung vom iPhone 6, sondern primär von veränderten Ansprüchen an Performance, Gerätegröße und Akkulaufzeit. Diesen konnte das iPhone 5S schlicht nicht mehr gerecht werden. Das iPhone 6 hingegen schafft es noch. Damit bestätigt sich allerdings auch meine Faustregel, dass iPhones nach mehr als 2 Jahren – allem lobenswerten Softwaresupport zum Trotz – spürbar an Leistung und Bedienkomfort einbüßen. Der Vorwurf der geplanten Obsoleszenz steht da natürlich nicht ganz zu Unrecht im Raum.

Trotzdem ist natürlich klar, worauf ich derzeit hoffe: Darauf, dass sich Apple mit dem iPhone 7 im Herbst 2016 endlich einen Ruck gibt und jedenfalls in Sachen Display ein Upgrade springen lässt. Vor allem aber hoffe ich, dass Apple am Reißbrett fleißig war und ein frischeres und moderneres Gerät vorstellen wird. Dazu ist meiner Meinung nach übrigens deutlich mehr nötig, als nur den Kopfhöreranschluss zu streichen.

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