Android P auf dem Pixel 2 XL – Die öffentliche Beta im Alltag getestet
|Auf der diesjährigen Google I/O 2018 Entwicklerkonferenz hat Google (wie erwartet) die erste öffentliche Beta der nächsten Android-Version (Android 9 „P“) freigegeben, die seitdem für jederfrau mit kompatiblem Gerät verfügbar ist. Wie immer juckte es auch mir sofort in den Fingern, aber ich habe gezögert. Mein Pixel 2 XL ist aktuell mein täglicher Begleiter. Ich bin also darauf angewiesen, dass ich mich auf das Phone verlassen kann. Plötzliche Abstürze oder kritische Bugs wären da ein echtes Problem. Ich konnte mich allerdings nur für gut eine Woche beherrschen. Danach siegte doch wieder die Neugier über meine Vernunft. Vor allem die neue Gestensteuerung wollte ich unbedingt ausprobieren und so läuft seit Mitte Mai die Beta nun auf meinem Smartphone. In diesem Beitrag gibt es von mir daher einen ersten Alltagseindruck von der kommenden Android Version und auch eine Antwort auf die Frage, ob die Beta schon „alltagstauglich“ ist.
Project Treble wirft seinen Schatten
Zu der derzeit noch aktuellen Android-Version (Android 8 „Oreo“) habe ich im vergangenen Jahr keinen ausführlichen Artikel gebracht, in dem ich alle Neuerungen zusammen gefasst habe. Stattdessen habe ich mich auf das meiner Ansicht nach spannendste Detail konzentriert: Project Treble. Damals habe ich Project Treble das Potential zugetraut, der nächste Meilenstein der Android Entwicklung zu werden. Kurz gesagt, ermöglicht es Project Treble, die Hardwareebene von der Betriebssystemebene zu trennen, so dass Softwareupdates schneller ausgerollt werden können, ohne dass die Hersteller sich die Arbeit machen müssen, die grundlegenden Treiber für Bluetooth, Wlan oder Kamera für die neue Android-Version anzupassen. Details findet ihr in meinem zugehörigen Blogbeitrag.
Und tatsächlich scheint Project Treble nun erste Früchte zu tragen, denn Google bringt die Beta nicht, wie bisher, nur für Nexus- (RIP) und Pixel-Smartphones, sondern auch für ausgewählte Geräte von Sony, Oneplus, Oppo oder Xiaomi. Sogar das gerade von mir getestete Essential Phone PH-1 ist dabei. Das liegt vor allem an Project Treble, das es den genannten Herstellern ermöglichte, ihre Smartphone sehr schnell für die Beta von Android P fit zu machen. Sollte das jetzt ein erstes Signal für eine Besserung der Update-Misere sein, wäre das wirklich eine grandiose Nachricht. Zwar läuft die Beta auf Geräten wie dem Oneplus 6 derzeit noch eher holprig, aber der Schritt geht definitiv in die Richtung. Übrigens: Nicht dabei ist Samsung, weil Project Treble dort scheinbar nicht unterstützt wird. Das Android-Blog droidlife schrieb dazu völlig zutreffend: „Google Just Told Me Which OEMs to Buy Phones From and It’s Not Samsung„.
Was mir bisher gefällt
Obwohl es sich um eine erste Beta-Version handelt, ist mein Eindruck alles in allem ausgezeichnet. Es ist wieder einmal bemerkenswert, wie gut bei Google schon die Beta-Versionen laufen. Bis zum finalen Release im Spätsommer dürften trotzdem noch zwei, drei Updates für die Public Beta kommen, bevor die finale Version (vermutlich zuallererst) für die Pixel-Smartphone offiziell verfügbar sein wird.
Direkt ins Auge fällt, dass Google bei Android P wieder mehr am Design und Look von Android geschraubt hat, als es das in den letzten Jahren der Fall war. Während man Android 7 „Nougat“ und Android 8 „Oreo“ nicht unbedingt auf den ersten Blick auseinanderhalten konnte, fallen die optischen Veränderung bei Android P deutlicher auf. Erstens rundet Android P die Benachrichtigungskarten ab, zweitens gibt es mehr farbliche Akzente und drittens werden Schaltflächen in großen freundlichen Kreises dargestellt. Das erinnert sehr an das Action Center von iOS und auch Erinnerungen an Samsungs TouchWiz werden wach. Trotz dieser Ähnlichkeiten oder gerade wegen ihnen gefällt mir der neue, freundlichere Look aber sehr. Android Oreo und Nougat waren mit ihrem schroffen Mix aus kantigen Flächen und grau-schwarzem Text für meinen Geschmack etwas zu trist. Dass die Uhrzeit jetzt links angezeigt wird, juckt mich übrigens wenig.
Natürlich ist Android P nicht bloß ein optisches Upgrade. Wie üblich kommen mit einer neuen Android Version auch große und kleine Features dazu. Neben der verbesserten Lautstärkesteuerung, der Möglichkeit, einen eigenen DNS-Server einzutragen (warum das sinnvoll ist) oder der Anzeige des Lade-/Akkustandes auf dem Lockscreen gibt es für mich vor allem folgende Neurerungen, die ich im Alltag bereits nicht mehr missen möchte.
Es mag verrückt klingen, aber am meisten freue ich mich über das neue Screenshot Tool. Ich teile sehr oft Screenshots auf Twitter oder via Messenger, um auf Textteile oder Bildausschnitte hinzuweisen. Bisher musste ich dafür die bekannte Tastenkombi (Power + Lautstärke Leiser) drücken, in die Fotos App wechseln, das Zuschneide-Werkzeug auswählen und das Bild dann speichern und teilen. Für Android P hat Google nun endlich ein Feature eingebaut, das man schon aus Apple in iOS 11 kennt: ein eigenes Screenshot-Tool. Betätigt man die unveränderte Tastenkombi öffnet sich sofort eine „Screnshot-Bearbeiten“-Benachrichtigung, mit der man den Screenshot sofort zuschneiden und teilen kann. Für mich ist das eine echte Erleichterung, die mich mehrfach am Tag ganz praktisch erfreut. Schade ist allerdings, das Android P die geteilten Screenshots trotzdem noch speichert (iOS 11 geht da einen Schritt weiter und löscht die Screenshots nach dem Versenden, sofern man sie nicht ausdrücklich speichert).
Eine ähnlich unscheinbare, aber sehr sinnvolle Neuerung ist der situationsabhängige Landscape-Modus. Ich deaktiviere stets das automatische Rotieren des Displayinhalts, weil es mich extrem nervt, wenn ich das Telefon auf den Tisch lege und das Gerät aus irgendeinem Grund meint, wild zwischen Portrait und Landscape wechseln zu müssen. Will ich dann aber doch mal horizontal ein Youtube-Video schauen, musste ich bisher immer manuell die Bildschirmrotation in den Einstellungen einschalten (und nach dem Video wieder ausschalten).
Mit Android P gibt es nun eine situationsabhängige kleine Softwaretaste, die in der Navigationsleiste auftaucht, wenn man im gesperrten Rotationsmodus das Smartphone horizontal hält. Das ist sehr nützlich, weil man dann nur für die Dauer des Videos den Landscape-Modus nutzen kann.
Was noch besser werden muss
Was ihr in meiner Positiv-Liste bisher nicht gefunden habt, ist die neue Gestensteuerung. Obwohl die doch der eigentliche Grund für mich war, die Beta auszuprobieren, habe ich sie nach kürzester Zeit wieder deaktiviert und nutze schon längst wieder die klassischen Navigationstasten. Die Gestensteuerung – die man in den Einstellungen aus gutem Grund erst manuell aktivieren muss – soll zwar die gesamte Bedienung flüssiger und natürlicher machen, erreicht oft aber eher das Gegenteil: Wenig wirkt da bisher zuende gedacht. Die Bedienung ist stattdessen meist nur unpräziser und umständlicher geworden.
Der Home-Button wurde durch eine breitgezogene „Pille“ ersetzt, die Multitasking-Taste gestrichen, die Zurück-Taste aber (auf sehr unsymmetrische Art) beibehalten. In die Multitasking-Übersicht kommt man stattdessen mittels einer „Hochwisch“-Geste. Das Problem: Auch der App-Drawer wird nach wie vor durch eine Hochwisch-Geste aufgerufen, nur dass man – um nicht der Multitasking-Geste in die Quere zu kommen – etwas weiter nach oben wischen muss. Viel zu oft habe ich deshalb statt in die Multitasking-Ansicht zu wechseln, den Appdrawer aufgerufen oder aus Vorsicht, nicht zu weit wischen zu wollen, gar nichts erreicht. Nach etwas Einübung habe ich zwar ein Gefühl für das richtige Maß an „Wischen“ bekommen, so richtig warm bin ich mit dem neuen Bedienmodus aber bisher nicht geworden. Google arbeitet hier meiner Ansicht nach an einer Lösung für ein Problem, das es nicht gibt. Mangels Multitasking-Button fehlt auch der schnelle Wechsel zwischen der aktuellen und letzten App. Statt wie früher schnell doppelt auf die Multitasking-Taste zu tippen, soll man jetzt die „Pille“ kurz nach rechts ziehen. Auch das ist eher eine fummelige Angelegenheit, ohne dass hier ein besonderer Fortschritt erkennbar ist.
Die neue Multitasking-Ansicht mit kleinen Miniaturansichten der Apps wird man im Übrigen in keinem Fall los, egal ob man wieder die klassischen Navigationstasten nutzt oder die neuen Gesten. Zwar sieht es optisch ganz nett aus, wenn man nun die gesamte App als Vorschau sehen kann, aber die Vollansicht führt eben auch dazu, dass man viel länger braucht, um die fünfte oder sechste App zu erreichen, die man gerade genutzt hat. In der bisherigen Karussel-Ansicht von Android Oreo kam ich jedenfalls sehr viel schneller zu den hinteren Apps. Dank gestrichener Multitasking-Taste musste sich Google in Android P auch einen neuen Shortcut für den Splitscreen-Modus überlegen. Statt aus jeder App heraus die Multitasking-Taste gedrückt zu halten, muss man derzeit auf das App-Symbol oberhalb der App-Vorschau in der Multitasking-Ansicht tippen. Ich könnte jetzt auch noch die momentan fehlende „Alle Apps beenden“ Schaltfläche in der Multitasking-Übersicht ansprechen, aber dazu hat Dave Burke (der Android Chef-Ingenieur) bereits getwittert, dass die in Zukunft zurückkehren wird. Alles in allem kann ich mich insgesamt nicht des Eindrucks erwehren, Google wolle einfach mal schauen, was man mit Gesten so machen kann. Einen konsistenten Plan für ein neues Bedienungs-Konzept sehe ich bisher aber nicht.
Neben dieser aktuell wohl größten Baustelle gibt es aber nur wenig, was mir tatsächlich negativ aufgefallen wäre. So hat Google in Android P derzeit die Mini-Settings gestrichen, die man zuvor in den Shortcuts der Benachrichtigungsleiste aufrufen konnte, indem man auf den Text („Bluetooth“ usw.) tippte. So konnte man sich unter Android „Nougat“ und „Oreo“ bisher den Sprung in die Einstellungen sparen und direkt vom Home-Screen z.B. neue Bluetooth-Geräte koppeln. Unter Android P gibt es diese Mini-Menüs nicht mehr. Stattdessen kann man in den Shortcuts die WLan- oder Bluetooth-Verbindung mit einem Tipp nur noch deaktivieren oder per Gedrückthalten direkt in die Einstellungen springen. Das ist in der Beta besonders ärgerlich, weil ich hin und wieder Probleme hatte, mit bereits gekoppelten Bluetooth-Geräte erneut eine Verbindung aufzubauen. Ein Neustart war da meist die einzige Lösung. Das gehört tatsächlich aktuell auch zu den bekannten Bugs.
Ansonsten fallen nur Kleinigkeiten ins Gewicht. So dauert das Aktivieren des Display momentan bemerkenswert lange. Ich dachte zunächst, der Fingerabdruckleser wäre einfach langsamer geworden, aber es ist schlicht ein längeres Delay beim Aktivierung des Displays vorhanden. Ich kann dafür derzeit keinen Grund dafür erkennen und vermute, das Google das recht schnell wieder beheben wird.
Stabilität und Performance und ein Fazit
Was Bugs, Stabilität und allgemeine Leistung angeht, kann ich auf meinem Pixel 2 XL gegenüber der aktuellen Oreo-Software ansonsten keinerlei Einbußen feststellen. Apps laufen bis auf wenige Ausnahmen wie immer (Outbank hat sogar noch während der Beta-Zeit ein Update für Android P veröffentlicht) und die Performance ist auf gleichem phänomenal flüssigen Level. Sogar die Akkulaufzeit scheint unter Android P bei mir unverändert stark.
Würde ich also aktuell davon sprechen, dass die erste öffentliche P-Beta reif für den täglichen Einsatz ist? Ja, tatsächlich würde ich das. Jedenfalls auf dem Pixel 2 XL sehe ich derzeit keine entscheidenden Probleme. Ich selbst habe jedenfalls nicht vor, zu Android 8 „Oreo“ zurückzukehren und vermute, dass ich die übrigens Updates der Beta noch mitnehmen werde und dann direkt auf den finalen Release wechsle, sobald der im Spätsommer verfügbar ist. Bis dahin hoffe ich vor allem, dass Google sich noch überzeugende Gründe für die Gestensteuerung überlegt. Ansonsten halte ich P aber für das spannendste Update seit Langem, weil es mindestens optisch, aber auch funktional in vielen Details Besserungen mit sich bringt, die das Update tatsächlich mal wieder lohnenswert machen.
Zuletzt bleibt dann noch die Frage nach dem Namen. Google wird Android „P“ sicherlich wieder den Namen einer Süßigkeit geben: Ich tippe auf Pie (engl. Kuchen) 🍰
Nachtrag: Beta 2 ist da
Am Abend des 06.06.2018 ging die zweite öffentliche Beta online und natürlich habe ich nach den guten Erfahrungen mit der ersten Beta das Update sofort installiert. Das Resultat: Wie versprochen ist die „Alle Apps schließen“ Schaltfläche im Multitasking-Menü wieder da. Ansonsten hat sich aber nur Kleinkram geändert (hier ein Überblick von Tim Schofield), die großen Baustellen blieben unangetastet – vor allem die Gestensteuerung ist die Gleiche. Dafür habe ich jedenfalls bei meinem Pixel 2 XL nun doch auf einmal so einige Bugs festgestellt. Zum Beispiel funktionierte der Mobile-Hotspot im 5 GHz WLan Netz erst nach einem Reboot.
Ganz und gar nicht glücklich bin ich mit den (erneuten) Änderungen im Bluetooth-Menü. Nicht nur fehlt weiterhin jede Spur von den Shortcuts, auf einmal sind die bisher auf oberster Ebene sichtbaren „Zuvor verbundenen Geräte“ in einem Submenü versteckt. Das Koppeln mit bekannten Geräten ist damit noch komplizierter. In Sachen Bluetooth geht Google derzeit wirklich einen sehr merkwürdigen Weg.
Ich bin Malte, der Chefredakteur hier bei DeathMetalMods.de. Ich bin beruflich als Jurist tätig und lebe in diesem Blog meine Lust an Technik, digitaler Welt und Gadgets aus. Ich schreibe hier die meisten Artikel und organisiere die Arbeiten im Hintergrund. Ihr findet mich auch privat bei Mastodon und Twitter.
Danke für diesen ausführlichen Einblick. Ich hoffe, dass ich mir bald das Pixel 3 XL leisten kann, was bei Googles aktueller Preispolitik ja nicht sicher ist und mir von Android P(ie) selbst ein Bild machen kann.