iOS 10 und der neue Sperrbildschirm: Es heißt Umgewöhnen

ios10headerApples mobiles Betriebssystem hat etwas widersprüchliches. Einerseits verdankt es seinen großen Erfolg seiner Einfachheit und seinem Fokus auf Minimalismus. Nur sehr zögerlich verändert Apple etwas an etablierten Grundlagen seiner Bedienkonzepte. Und genau das schätzen Kunden: iOS ist zuverlässig, beständig und überfordert nicht.

Andererseits gibt es dann aber auch die Momente, in denen Apple – geradezu tollwütig – radikale Kehrtwenden fährt und keinen Stein auf dem anderen lässt. Die letzte große Erschütterung dieser Art war das Update auf OS 7, mit dem Apple 2013 kurzerhand das gesamte Gesicht seines Betriebssystems veränderte: Mit der Folge, dass viele die Software ihres iPhones nicht wiedererkannten. Seitdem ist mit iOS 8 und iOS 9 vor allem Feinschliff betrieben worden. Der war allerdings auch nötig, denn nach dem optischen Umbruch durch iOS 7 blieben so manche Baustellen bei Performance- und Stabilität fertigzustellen. Vordergründig herrschte seit iOS 7 also erst einmal Ruhe: Der neue Look hat sich etabliert, sinnvolle Funktionen wurden unauffällig integriert und das gesamte System erreichte mit iOS 9 ein gleichermaßen vertrautes wie zuverlässiges Niveau.

Diese Ruhe ist mit iOS 10 nun abermals vorbei. Drei Jahre nach iOS 7 erleben wir den nächsten großen Umbruch. Das liegt vor allem am neuen Sperrbildschirm (oder auch: Lockscreen), der einiges an Umgewöhnung erfordert. Aber auch iMessage und Widgets sind angefasst oder neu gestaltet worden. Seit etwa 3 Monaten nutze ich nun die öffentlichen Beta und seit Mitte September die finale Fassung von iOS 10: Hier also meine Meinung zum zehnjährigen iOS-Jubiläum.

Die neue Bildschirmsperre

Sieben Jahre lange war „Slide To Unlock“ das Gesicht des iPhones. Die Idee, das iPhone mit einer Wischgeste und dem Finger zu entsperren, war Steve Jobs bei der Vorstellung des ersten iPhones auf der Macworld 2007 eine wiederholte und fast euphorische Demonstration wert. Die „Slide To Unlock“ Geste wurde daraufhin oft kopiert, war unter anderem auch Teil des Rechtsstreit zwischen Apple und Motorola vor dem deutschen Bundespatentgericht und stand sinnbildlich für die Einfachheit und Nutzerfreundlichkeit von iOS.

Mit iOS 10 ist all das nun Software-Geschichte. Statt „Slide To Unlock“ wird das iPhone ab jetzt über den Druck auf den Home-Button entsperrt.

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Die Umgewöhnung, die das für alteingesessene Nutzer bedeutet, ist kaum zu überschätzen. Ich nutze seit April ein iPhone SE und war es bis iOS 9 gewohnt, bei eingehenden Nachrichten via Slide-To-Unlock zu entsperren und dann per PIN oder Touch-ID zu entsichern. Unter iOS 10 muss ich nun aber nach dem Entsichern noch einmal den Home-Button drücken, um tatsächlich vom Sperrbildschirm auf den Homescreen zu gelangen. Angezeigt wird der Sperrzustand jetzt stets mit einem kleinen Schloss in der Statusleiste. Ist das Gerät noch mit PIN oder Touch-ID gesichert, zeigt sich das Schlosssymbol geschlossen und ein Druck auf den Home-Button führt nicht weiter. Ist das Gerät hingegen entsichert, ist ein „geöffnetes Schloss“-Symbol zu sehen und ich kann per Home-Button-Druck auf dem Homescreen gelangen.

Das alles stellt vor allem einen Workaround für das Problem dar, das sich Apple mit den Fingerabdrucksensoren der iPhones ab Generation 6S selbst eingebrockt hat. Der dortige Sensor ist derart schnell, dass – so noch unter iOS 9 – mit Druck auf den Home-Button sofort entsichert und auf den Homescreen weitergeleitet wurde. Die Benachrichtigungen und den Kamera-Shortcut auf dem Sperrbildschirm konnte man so überhaupt nur noch nutzen, wenn man bewusst nicht den Home-Button bestätigte, sondern das Gerät über die Standby-Taste aufweckte. Dieses Problem ist nun dadurch behoben, dass nach dem Entsichern via Touch-ID eben noch ein weiterer Klick auf den Home-Button nötig ist. Für Nutzer der iPhone 6S und iPhone 7 löst das also ein Problem, für alle anderen wird hingegen ein unnötiger Extraschritt hinzugefügt.

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Glücklicherweise hat Apple aber – recht versteckt – die Option bewahrt, das iPhone gleichzeitig zu entsperren und zu entsichern, indem der Finger nach Tastendruck auf dem Touch-ID gelassen wird. Unter „Zum Öffnen Finger auflegen“ findet sich tief in den Einstellungen (Allgemein -> Bedienungshilfen -> Home-Taste) eine Möglichkeit, sich das Entsperren durch erneutes Drücken der Home-Taste zu ersparen. Für Nutzer älterer Geräte ohne Touch-ID führt unter iOS 10 hingegen nichts daran vorbei, den Home-Button nun nicht mehr nur einmal, sondern zweimal zu betätigen: Einmal zum Aufwecken des Geräts und dann zum Entsperren, nachdem das Gerät via PIN entsichert wurde. Erste Beschwerden über die erhöhte Klick-Belastung der Home-Buttons bei älteren Geräten machen daher schon die Runde.

Für die Nutzer eines iPhone 6 und älterer Geräte endet die Geschichte hier auch. Für Nutzer eines iPhone 6S, iPhone SE oder neuer kommt aber noch ein weiteres Feature hinzu: „Raise-To-Wake“. Kompatible iPhones erkennen dank des verbauten Motion Co-Prozessors, wenn das iPhone in die Hand genommen, aus der Tasche gezogen oder ins Blickfeld geneigt wird und aktivieren automatisch das Display. Bei meinem iPhone SE funtkioniert das auch ausgesprochen gut. Zwar ist die Funktion nicht neu, sondern bei vielen Android-Geräten und sogar bei Windows Phone in ähnlicher Form schon versucht worden, aber – wie so oft – ist die Umsetzung bei Apple auf einem unerreicht alltagstauglichen Niveau.

Letztlich heißt das: Ich aktivere das iPhone SE, indem ich es hochnehme und lasse dann nur meinen Finger auf dem Home-Button ruhen. So entsichere und entsperre ich mein iPhone mittlerweile ohne überhaupt irgendeine Taste zu drücken. Das ist meiner Meinung nach sehr komfortabel, funktioniert einwandfrei und schont den notorisch anfälligen Home-Button.

Widgets und Interaktionen auf dem Sperrbildschirm

Die Rechtfertigung für das neue Entsperren via Home-Button allein bei den (zu) schnellen Touch-ID Sensoren zu suchen, ist aber zu kurz gegriffen. Denn die Trennung von Entsichern und Entsperren in zwei einzelne Klicks des Home-Buttons sorgt auch dafür, dass man direkt vom Sperrbildschirm aus auf die neuen Widgets zugreifen kann. Zusätzlich kann man so auch auf den vollen Umfang der Kamera zugreifen (ohne nur vom Sperrbildschirm in den „Gast-Modus“ der Kamera zu starten) und auf eingehende Nachrichten direkt vom Sperrbildschirm aus reagieren. Aber die Widgets sind meiner Meinung nach die spannendere Geschichte.

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Widgets gibt es schon seit iOS 8, bisher jedoch nur in der runterwischbaren Benachrichtigungs-Zentrale. Seit iOS 10 werden sie in einem eigenen Bereich links vom Homescreen gesammelt, also dort wo lange Zeit die Spotlight-Suche beheimatet war. Ihrer Funktion nach sind Widgets aber immer noch die gleichen kleinen Programm-Schnipsel, die schnellen Zugriff auf bestimmte Inhalte von Apps ermöglichen. Sie werden nicht seperat installiert, sondern sind Anhängsel zu Apps, die aus dem Appstore installiert werden. Ich habe momentan das Widget der Wetter-App, des Kalenders, von Parceltrack und der IMDb-App aktiviert und nutze diesen Bereich tatsächlich immer mal um schnell meine kommenden Termine oder den Status meiner Pakete einzusehen.

Und genau diese Widgets sind nun auch direkt vom Sperrbildschirm aus erreichbar, indem man ebenfalls einmal nach rechts wischt; jedenfalls, wenn das iPhone entsichert ist. Und hier kommen wir dann auch wieder zum neuen Sperrbildschirm. Würde man das Gerät direkt mit einem Tastendruck aufwecken, entsichern und entsperren, gäbe es keine Möglichkeit, die Widgets auf dem Sperrbildschirm zu nutzen. Daher ist unter iOS 10 standardmäßig das Aufwecken und Entsperren in zwei gesonderte Klicks des Home-Buttons getrennt worden. Ob die neuen Widgets dieses ganze Drama überhaupt wert sind, ist natürlich eine andere – individuell zu beantwortende – Frage.

Die sonstigen neuen Features

Da ich mich in diesem Artikel primär dem neuen Sperrbildschirm widmen wollte, möchte ich mich bezüglich der übrigen neuen Funktionen in iOS 10 auch eher kurz fassen. Wer sich für einen umfangreicheren Überblick interessiert, findet über die Suchmaschine seines Vertrauens sicher schnell genügend Futter. Ansprechen möchte ich eigentlich nur ein paar (vermeintliche) Highlights.

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Da wäre zunächst die immens aufgeblasene Nachrichten-App inklusive iMesssage, die mit einem Haufen Spielkram angedickt wurden, um mit Konkurrenten wie Snapchat Schritt zu halten: Sticker, hintergrundfüllende Animationen, Apps, Rubbelbildchen oder animierte Schriften sollen das jüngere iOS-Publikum davon abhalten, neben iMessage überhaupt noch auf andere Messenger auszuweichen. Abgesehen davon, dass es auch außerhalb des Vorsprungs von Konkurrenz-Apps gute Gründe gibt, iMessage NICHT zu nutzen, muss ich leider sagen, dass die ehemals schlanke Nachrichten-App nun ziemlich unübersichtlich geworden ist. Auf dem iPhone SE und seinem 4 Zoll Bildschirm sind Funktionen, wie die Handschrift-Zeichnung ziemlich winzig und das Textfenster schrumpft teilweise auf ein Drittel der ehemaligen Größe zusammen. Da ich iMesssage aber praktisch nur selten nutze (99 % meiner Kommunikation läuft über Threema), habe ich persönlich eigentlich auch nichts zu meckern.

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Eher kosmetisch ist die Veränderung des Kontrollzentrum. Das ist nun in zwei Bereiche aufgeteilt, was meiner Meinung nach durchaus sinnvoll ist. Der Hauptbereich mit Shortcuts, Toggles und AirDrop-Verwaltung ist damit aufgewertet worden und der Musikbereich bietet nun Platz für mehr Details und ein Albumcover. Das neue Kontrollzentrum passt mir daher recht gut.

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Die letzte große Neuerung ist aus meiner Sicht die Möglichkeit, Apps in Siri zu integrieren. Theoretisch ließe sich jetzt beispielsweise eine Spotify-Playlist starten oder nach dem Sendungsstatus heiß erwarteter Pakete fragen. Bisher ist aber (jedenfalls was in Deutschland verbreitete Apps angeht) nur Whatsapp so weit, die Siri-Integration zu unterstützen. Da ich aktuell – dank der jüngsten Entwicklung bei Facebook – eher wieder aus Whatsapp raus will, ist das für mich kein wirklicher Mehrwert und ich warte ab, wie andere Apps die Siri-Integration aufnehmen.

Stabilität, Performance und Fazit

Alles in allem bringt iOS 10 also vor allem die Notwendigkeit zur Umgewöhnung mit sich. Ich persönlich bin mit dem neuen Sperrbildschirm aber definitiv warm geworden. Allerdings besitze ich auch ein iPhone mit Touch-ID und komme daher um den nun erforderlichen Home-Button-Missbrauch herum. Auch die neuen Widgets nutze ich tatsächlich, das Reagieren auf Nachrichten direkt auf dem Sperrbildschirm gefällt mir und auch das neue Kontrollzentrum nehme ich gern mit. Das Upgrade der Nachrichten-App geht an mir und meinen Bedürfnissen hingegen eher vorbei. Die Siri-Integration schließlich ist für mich aktuell eher eine interessante Perspektive als ein Mehrwert.

Auf meinem iPhone SE läuft iOS 10 übrigens seit der Public Beta völlig unauffällig. Weder die Akkulaufzeit noch die Systemstabilität oder -performance haben mir Anlass zur Kritik gegeben. Auch jetzt – mit der finalen Version 10.0.2 – habe ich keinerlei Probleme. Ich höre allerdings Berichte davon, dass die Bluetooth-Kopplung beim iPhone 6 seit iOS 10 recht buggy geworden ist und weiß, dass Apple sich mit dem kurzzeitigen Brick-Problem kurz nach Release keinen Gefallen getan hat. Ich persönlich habe aus meiner eigenen Erfahrung nach drei Monaten Beta- und Final-Release-Nutzung aber nichts Schlechtes zu berichten. Kommentare, die iOS 10 aktuell (scherzhaft) mit Windows Vista vergleichen, kann ich daher nicht wirklich nachvollziehen. Nachdem ich kürzlich mein iPhone SE mit einem dBrand Skin versehen habe, bin ich aktuell also ziemlich zuversichtlich, mit meinem iPhone SE und iOS 10 weiterhin viel Freude zu haben, bis 2017 endlich ein lohnenswertes neues iPhone samt iOS 11 ins Haus stehen.

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