Telegram unter der Lupe: Besser als Whatsapp und so privat wie Threema?

TelegramHeaderSeit der Übernahme von Whatsapp durch Facebook erleben alternative Messenger-Apps einen Aufschwung. Trotz aller Gleichgültigkeit gegenüber digitaler Privatssphäre ist die Wechselbereitschaft weg von Whatsapp auch bei Normalnutzern erstaunlich groß. Die großen Profiteure sind dabei Telegram und Threema. Gerade Telegram mausert sich aktuell zu einem kleinen Star, weil es mehr Funktionen als Whatsapp bei gleicher Privatheit wie Threema verspricht. Ich habe mir den Messenger einmal genauer angesehen und erkläre, welche Versprechen Telegram halten kann und welche nicht.

Was steckt hinter Telegram?

Telegram gibt es erst seit knapp 2 Jahren. Der damals nur für iOS verfügbare Messenger startete tatsächlich erst im August 2013. Hinter dem Dienst stecken die russischen Brüder Pavel and Nikolai Durov sowie ein Team aus Entwicklern. Einer der Brüder ist Gründer des russischen Facebook-Pendants, VKontakte. Laut eigenen Angaben befindet sich die Zentrale aber in Berlin und der Dienst habe bis auf die Nationalität der Brüder nichts mit Russland zu tun. Trotzdem führt bereits dieser Punkt oft zu Verunsicherung. Meiner Ansicht nach gibt es aber keinerlei Grund, den Dienst nur aufgrund des Geburtsortes seiner Gründer zu verurteilen. Im Gegenteil: Laut Berichten der New York Times verließen die Brüder ihre Heimat aufgrund von Repressionen unfreiwillig.

Trotzdem darf man fragen, wie Telegram überhaupt sein Geld verdient. Die App kostet nichts, sie schaltet keine Werbung und analysiert laut eigenen Angaben auch nicht die Kommunikation seiner Nutzer, um Interessenprofile an Werbepartner zu verkaufen. Stattdessen finanziert sich der Dienst derzeit angeblich allein aus einer Spende, die der Verkauf seiner VKontakte-Anteile einem der Brüder ermöglicht haben soll. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein, ist aber ebenfalls nichts, was grundsätzlich problematisch wäre. Auf Dauer darf man sich als Nutzer aber natürlich fragen, wie der Dienst sich langfristig halten soll, wenn er nicht auf alle Ewigkeit von Spenden abhängig bleiben will. Während Whatsapp sich als Datenlieferant für Facebook finanziert und die Threema-App kostenpflichtig ist, bleibe ich beim Geschäftsmodell von Telegram derzeit noch leicht reserviert.

Ist Telegram so privat wie Threema?

Ein Teil des Charmes von Telegram ist, dass der Dienst laut eigenen Angaben „sicherer“ als Whatsapp sein will. Hinsichtlich Sicherheit oder besser „digitaler Privatheit“ der Kommunikation ist für mich aber nicht Whatsapp, sondern ganz klar Threema der Maßstab. Der Grund, warum ich bei jeder Gelegenheit den schweizer Messenger empfehle – sei es für Android, iOS oder Windows Phone – ist dessen Verschlüsselung. Genauer gesagt, ist es die Art und Weise, wie Threema verschlüsselt, die den Dienst so besonders macht. Statt die Nachrichten nur auf dem Weg vom Nutzer zum Server zu sichern, wird die Kommunikation bei Threema von Sender zu Empfänger, also von einem Ende zum anderen Ende, verschlüsselt. Das bedeutet, dass nicht einmal Threema weiß, was die Gesprächspartner so erzählen. Die Schlüssel zum Dekodieren der Chats liegt einzig auf den Smartphones und Tablets der Nachrichtenschreiber.

Dieses Maß an digitaler Privatssphäre bietet Telegram eindeutig nicht, jedenfalls nicht standardmäßig. In den Grundeinstellungen funktioniert Telegrams Verschlüsselung stattdessen exakt wie die von Whatsapp, Skype, Google Hangouts und Co. Die einzelnen Nachrichten werden nur auf dem Weg vom Absender zum Server verschlüsselt und dort von den Dienstanbietern im Klartext verarbeitet. Vor allem können die Chats dort auch auf Auffälligkeiten und Werbe-Stichworte analysiert werden und unterliegen staatlichen Zugriffsmöglichkeiten. Von den Servern aus werden die Nachrichten dann neu verschlüsselt und an den Empfänger übermittelt. Ob die Verschlüsselung dabei besonders gut oder schlecht ist, ist erst einmal zweitrangig, denn sie schützt in keinem Fall davor, dass Google, Facebook, Microsoft oder eben auch Telegram die Nachrichten jederzeit lesen können. Der einzige Unterschied bei Telegram ist, dass man derzeit versichert, es eben nicht zu tun. Technisch möglich wäre es aber ohne Weiteres.

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Telegram wirbt auch damit, besonders sicher zu sein.

Es gibt allerdings die Option, einen Chat via Telegram „privat“ zu halten. Per Klick lassen sich einzelne Unterhaltungen auf eine Verschlüsselung umschalten, die strukturell der von Threema gleicht: Ende zu Ende. Diese Nachrichten sollte auch Telegram nicht lesen können, denn die Schlüssel für die Verschlüsselung liegen dann – wie bei Threema – nur auf den Geräten der Nutzer. Übrigens: Das Gerücht, dass auch Whatsapp ein Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingeführt haben soll, habe ich bereits im November 2014 in einem Artikel angesprochen. Seitdem habe ich allerdings nichts weiter davon gehört. Da damals schon nur die Rede von Android-Nutzern war, gehe ich davon, dass es sich vor allem um einen Marketing-Stunt gehandelt hat und behandle Whatsapp vorerst so wie oben beschrieben: Als Dienst mit reiner Nutzer-zu-Server-Verschlüsselung.

Ist Telegram also nun so gut wie Threema, was den Respekt gegenüber meiner Intimssphäre angeht? Nicht grundsätzlich, aber immerhin besteht die Option auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Einzelgespräche. Da die meisten Nutzer aber meist die Grundeinstellungen nutzen, bleibt Threema meine Referenz. Dort ist das gesagte Wort per Default Privatsache. Zudem ist Threema noch immer einzigartig, was die Funktionsfähigkeit ohne Handynummer angeht. Telegram möchte – auch zum Ärger der Stiftung Warentest – wie Whatsapp stets eine funktionierende Handynummer haben. Threema hingegen funktioniert völlig ohne Offenbarung derartiger Daten.

Was ist an Telegram nun besser als an der Konkurrenz?

Obwohl Telegram also nicht grundsätzlich sicherer oder privater als Whatsapp ist, gibt es doch eine ganze Reihe von Gründen, statt zu Whatsapp lieber zu Telegram zu greifen. Neben der angesprochenen Möglichkeit, einzelne Chats auf dem Intimitätsniveau von Threema laufen zu lassen, bietet Telegram etwa auch die Option, sich einzig durch einen Nickname nach außen zu präsentieren. Während bei Whatsapp stets Voraussetzung ist, dass der Gesprächspartner meine Telefonnummer kennt, kann ich mir bei Telegram einfach einen öffentlichen Nickname geben und diesen weitergeben. Freunde oder Bekannte können mich dann anschreiben, ohne dass sie meine Telefonnummer sehen. Das ist jedenfalls im Vergleich zu Whatsapp ein ganz wesentlicher Pluspunkt.

Vor allem aber bietet Telegram einen voll synchronisierten Nachrichtenverlauf über verschiedene Geräte hinweg. Der Dienst ist außerdem für alle bekannten mobilen und klassischen Betriebsysteme verfügbar. Es gibt Apps für iOS, Android, Windows Phone 8, Blackberry, Linux, Mac OS X und Windows PCs. Egal an welchem Gerät ich also gerade sitze, ich bin stets unter dem gleichen Account erreichbar und habe vollen Zugriff auf alle geführten Unterhaltungen. Allein das ist – verständlicher Weise – für viele Nutzer das Killerfeature schlechthin. Auch ich habe im Frühjar 2013 (vor Start des Telegram-Dienstes) nach genau so einem vollsynchronen Multi-Geräte-Messenger gesucht. In Telegram habe ich ihn gefunden. Erwähnen muss man dabei, dass Telegram seine APIs offengelegt hat. Die Apps für Windows Phone 8 oder für den Mac stammen dementsprechend von Drittentwicklern und wurden erst kürzlich als offizielle Apps von Telegram übernommen.

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Das Killerfeature ist auch für mich klar der vollsynchrone Nachrichtenverlauf.

Der synchrone Nachrichtenverlauf ist übrigens auch einer der Gründe, warum Telegram die Nachrichten nicht standardmäßig Ende-zu-Ende-verschlüsselt und teilweise sehr lange auf seinen Servern speichern muss. Die Tatsache, dass Telegram die Nachrichten dauerhaft und frei lesbar auf seinem Server verwaltet, macht es dem Anbieter sehr viel einfacher, synchrone Gesprächsverläufe auf allen Geräten der Nutzer zu bieten. Technisch ginge das zwar auch mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Der Chat-Dienst von Apple, iMessage, tut nämlich genau das und kombiniert einen voll synchronen Gesprächsverlauf zwischen iPad, iPhone und Mac mit einer fast perfekten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Telegram könnte also durchaus seinen Cloud-basierten Ansatz aufrecht erhalten und trotzdem die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum Default machen. Vermutlich ist der Aufwand aber derzeit zu hoch. Aktuell führt ein „Privatchat“ deshalb dazu, dass die darin geführte Unterhaltung nur auf dem Gerät eingesehen werden kann, von dem aus das Gespräch begonnen wurde.

Eine weitere Stärke von Telegram ist die Tatsache, dass die App auf allen von mir getesteten Systemen durch die Bank weg sehr gelungen ist. Anders als bei Whatsapp und Threema hängt beispielsweise die Windows Phone Version seinen iOS- und Android-Schwestern hinsichtlich Funktionsumfang kaum hinterher. Dieser Funktionsumfang ist dabei sehr beachtlich. Wer Telegram einmal nutzt, wird schnell bemerken, dass der Dienst tatsächlich ein paar Details bietet, über die kein anderer Messenger verfügt. Sehr gelungen finde ich etwa die Einbindung von Vorschaubildern, wenn man Tweets, Youtube-Videos oder Weblinks teilt. Auch gefällt mir sehr gut, dass ich in Gruppenkonversationen einzelne Aussagen und Teilnehmer zitieren kann. Die von vielen so gern genutzten Sticker, die als Ersatz für Emojis verwendet werden können, sind ein weiteres prominentes Feauture.

Fazit: Warum ich Telegram zumindest Whatsapp vorziehe

Zum Schluss kann ich so viel sagen: Gegenüber Whatsapp sehe ich Telegram ohne Zweifel als Gewinner an. Telegram ist als eigenständige App auf fast allen Systemen verfügbar, kann es funktional nicht nur mit Whatsapp aufnehmen, sondern teilweise überbieten und bietet als Killerfeature eine vollsynchrone Chatverwaltung. Mit Blick auf den Datenschutz gibt es immerhin die Option, einzelne Chats Ende-zu-Ende verschlüsselt zu führen und anders als bei Whatsapp muss ich nicht zwingend meine Handynummer freigeben, wenn ich mit neuen Kontakten reden möchte. Vor die Wahl gestellt, würde ich daher stets zu Telegram greifen und habe Whatsapp mittlerweile auch von allen meinen Geräten gelöscht.

Was die Aspekte Datenschutz und Privatssphäre angeht, kann es Telegram aber nicht mit Threema aufnehmen. Dort ist Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Standard und auch sonstige Meta-Daten, werden bei Threema unverzüglich gelöscht beziehungsweise gar nicht erst gespeichert. Allerdings bietet Threema weder einen vollsynchrone Chat noch viele der Features von Telegram. In dieser Hinsicht erfordert Threema noch immer Kompromissbereitschaft von seinen Nutzern. Wer dazu nicht bereit ist, erhält mit Telegram immerhin einen Dienst, der aktuell zumindest optional etwas mehr Datenschutz  bietet und dessen Geschäftsmodell noch nicht das Eindringen in die eigene Privatsphäre vorsieht.

Mein Urteil ist nach nun einigen Wochen Telegram-Nutzung sehr positiv. Zu lange habe ich den Berliner Messenger ignoriert und links liegen gelassen. Er mag nicht meinen Ansprüchen an Datenschutz genügen, privater als Whatsapp ist er aber allemal. Da er auch funktional keine Abstriche erfordert, werde ich allen, die mir nicht zu Threema gefolgt sind, in Zukunft Telegram anbieten. Als bisheriger Fallback ist Whatsapp für mich jedenfalls endgültig gestorben. Für euch auch?

See you in the comments!

Update (10.04.2016): Mittlerweile habe ich Telegram noch einige Monate länger im Alltag genutzt und muss leider berichten, dass mein guter erster Eindruck viel Skepsis gewichen ist. Wer sich für einen aktualisierten Vergleich gegenüber Threema und vor allem Whatsapp interessiert, dem empfehle ich meinen Nachfolge-Artikel: „Whatsapp, Telegram & Threema: Eine aktuelle Bestandsaufnahme„.

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