Wird aus dem Windows Phone 8 „Appgap“ jetzt ein „Identitygap“?

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Kaum ein Begriff hat Windows Phone 8 bisher so geprägt wie „Appgap“. Mit diesem Schlagwort wird meist sehr diffus jede Art von gefühltem Rückstand in der App Vielfalt des Windows Phone Stores bezeichnet. In keiner Review zu Lumia Geräten wird vergessen, auf das „Appgap“ hinzuweisen und kein Stichwort treibt Windows Phone 8 Fans so sehr in Rage. Aber: Hinter dem Appgap steckt weitaus mehr, als nur das Fehlen bestimmter einzelner Apps! Es ist Symptom einer drohenden Identitätskrise.

Windows Phone 8 hat in den letzten 2 Jahren unglaublich viel aufgeholt und zuletzt mit Windows Phone 8.1 (hier mein ausführlicher Erfahrungsbericht) in vielen Funktionen zu Android und iOS aufgeschlossen. Mit einer gewissen Berechtigung verlangen wir Windows Phone 8 Nutzer deshalb, endlich in den Reihen der Großen akzeptiert zu werden. Mit entsprechender Entrüstung reagieren wir deshalb, wenn man uns immer wieder an den behaupteten Mangel unserer Ökosystems erinnert. Es geht doch bergauf, oder? Jede weitere App bringt uns näher an die Akzeptanz des Marktes, richtig? Die Antwort darauf ist nicht so einfach:

Es sind die Kleinen, die wichtig sind

Natürlich sind fehlende Apps Teil des Problems. Apps haben aus dem ersten iPhone ein Smartphone mit blühendem Ökosystem gemacht. Apps (und vor allem die Werbung darin) sind die treibende Einnahmequelle für Google in seinem Android Universum und ohne Apps ist auch Windows Phone nur ein hübsches Betriebssystem ohne Leben. Der Appstore von Windows Phone umfasst derzeit ca. 200.000 Apps, bei iOS und Android sind es weit über einer Million. Diese Zahlen allein, so werfen Windows Phone Freunde ein, sagen aber wenig aus. Da ist was Wahres dran, aber es ändert nichts an der Tatsache: Fehlende Apps sind nach wie vor eine Schwäche von Windows Phone.

Ich persönlich vermisse noch immer viele Apps, die ich auf Android und iOS regelmäßig nutze, wie etwa eine Geizhals App, eine App für eBay Kleinanzeigen, eine App, um meine Comixology Comic Sammlung zu lesen oder auch die Möglichkeit mein Watchever Abo auf Windows Phone zu nutzen. Diese Liste lässt sich beliebig erweitern. Egal ob Snapchat, Owncloud oder eine IKEA App: viele bekannte Namen fehlen nach wie vor.

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Es fehlen zwar noch Apps, aber es tut sich was

Die Frage ist natürlich, was man aus diesem Umstand schließen soll, denn erstens gibt es für viele Apps die oft zitierten inoffiziellen Alternativen und zweitens braucht nicht jeder diese teilweise eher speziellen Apps. Das kann aber, so meine ich, keine Rechtfertigung sein. Drittanbieter, allen voran der hingebungsvolle Entwickler Rudy Hyun können nie den Funktionsumfang bieten, den die offiziellen Apps von iOS und Android haben. Es ist auch völlig egal, wie speziell die App ist: Genau daran muss sich ein Ökosystem messen lassen. Gerade die speziellen Apps sind diejenige, die für viele Käufer zu einem Deal-Breaker werden und jede einzelne fehlende App ist eine, die bei einem Neukauf über das Ja und Nein gegenüber Windows Phone entscheiden kann. Wenn Windows Phone seinem Selbstverständnis als drittem Ökosystem gerecht werden will, dann reicht es nicht, alle paar Monate große Namen wie Instagramm oder Photoshop im Store willkommen zu heißen, sondern es muss die Mittelschicht erreicht werden: Jene Entwickler, die ihre kleinen, aber heißgeliebten Apps bisher nur für Android und iOS vertreiben.

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Threema zB kündigt sich bereits an

Aber – so meine Einleitung – das Fehlen von Apps tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Threema arbeitet bereits an seiner Windows Phone 8 Version, myDealz hat bereits seit ein paar Wochen eine offizielle Windows Phone 8.1 App und auch Aldi Talk ist seit Mitte Juli an Board (was sicherlich auch an dem Lumia 630 Sonderangebot lag). Der Trend ist also durchaus positiv. Ich halte die Lücken zwar immer noch für groß und das Auffüllen vorhandener Lücken ändert nichts daran, dass neue Apps weiterhin zuerst für Android und iOS erscheinen. Damit werden sich vorerst immer wieder neue Lücken auftun. Trotzdem: Das reine Fehlen oder Vorhandensein ist für mich nicht mehr das eigentliche Problem des Appgaps. Das liegt mittlerweile woanders.

Präsentation ist alles

So sehr sich die Verfügbarkeit einzelner Apps bessert, so sehr rückt mehr und mehr die Präsentation der Apps und deren Qualität in den Vordergrund. In beiden Bereichen gönnt sich Microsoft meiner Meinung nach immer noch zu viel Nachlässigkeit.

Apps sind nichts wert, wenn es nicht auch einen Store gibt, über den ich sie finden und entdecken kann. Genau dort sehe ich aktuell sehr viel Aufholbedarf. Wer einmal die Bewertungen der Rubrik „Top kostenlos“ durchstöbert, wird feststellen, dass viele der dort empfohlenen Apps mit 3 von 5 Sternen oder weniger bewertet werden. Genau diese Rubrik, in der sich so essentielle Apps wie Facebook, eBay oder Youtube befinden, gehört zur Grundausstattung eines gesunden Ökosystems. Diese Apps werden also sehr oft herunterladen, überzeugen aber den Nutzer nicht. In den „kostenlos“ Top 50 des Android Play Stores findet sich hingegen keine App mit weniger als 4 von 5 Sternen. Hier muss Windows Phone noch viel Arbeit leisten, um nicht bloß die Verfügbarkeit einer App vorweisen zu können, sondern auch mit deren Qualität zu glänzen.

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Nicht nachvollziehbar: Wer Spotify sucht, will Bleistift Skizzen finden?

Ein weitere Punkt ist die noch mangelhafte Querverknüpfung. Wer nach Spotify sucht, bekommt Empfehlung für Apps wie „Bleistift Skizze Kamera“ oder „Bilderrahmen“, während Android und iOS Empfehlungen für Soundcloud anbieten. Der Appstore von Windows Phone gleicht damit in vielen Bereichen noch einer Filmkulisse, die zwar auf den ersten Blick bevölkert und lebendig aussieht, aber hinten den Fasseden wenig Substanz bietet. Ob das bei Windows Phone nun an schlechten Algorythmen liegt oder einfach am Fehlen von „empfehlenswerten“ Apps, muss Microsoft erklären. Tatsache bleibt, dass sich oberflächlich viel tut, aber im Hintergrund wenig geboten wird.

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Assassin’s Creed Pirates wurde bereits von Ubisoft gelöscht, wird aber noch beworben

Zuletzt wäre da noch das Problem mit der allgemeinen Qualitätskontrolle im Windows Phone 8 Store. Wer etwa nach „Youtube“ sucht, bekommt dutzende Apps mit dem gleichen Namen „Youtube“. Viele mit zweifelhafter Qualität, keine einzige ist offiziell und trotzdem nutzt der Großteil das offizelle Logo von Google. Andere Apps, wie die sogar von Microsoft empfohlene App „Mario Jump“ sind ebenfalls eindeutig unlizensierte Apps. Der Ableger der populären Assassins Creed Reihe „Assassin`s Creed Pirates“ ist sogar derzeit prominent in der Spiele App beworben, führt aber seit Wochen ins Nichts. Ubisoft hat die App nämlich wegen zu schlechter Bewertungen aus dem Store entfernt. Microsoft scheint das nicht mitbekommen zu haben. Dieser Wildwuchs schadet  der generellen Vertrauenswürdigkeit des Appstores. Microsoft arbeitet hier vorrangig darauf hin, die Ränge zu füllen ohne das bei der Musterung besonders viel Sorgfalt gewaltet wird. Auch hier verspricht Microsoft Abhilfe. Laut dem offiziellen Microsoft Blog will man genau dieses Probleme angehen und habe sogar bereits 1500 Apps wegen unklarer Funktion oder illegaler Nutzung fremder Symbole gelöscht. Bisher ist von diesen Bemühungen aber nicht viel zu spüren.

Kopien ohne Seele?

Neben dem generellen Fehlen von Apps und der mangelden Pflege des bestehenden Angebots gibt es ein drittes Problem: Zusehends gehen die Entwickler großer Apps wie Spotify, Tapatalk oder Amazon dazu über, schlicht das Design der Android und iOS Vorbilder zu übernehmen, ohne auf die einzigartige Designphilosophie von Windows Phone einzugehen. Ich habe das bereits ausführlich in meinem Artikel „Spotify: Was das Update für Windows Phone 8 wirklich bedeutet“ dargestellt. Anstatt die horizontale Bedienung auf gleicher Hierarchie-Ebene zu nutzen, wie sie Windows Phone 8 eingeführt hat, werden mehr und mehr Elemente des Holo-Designs von Android eingebaut. Das Resultat sind oft – für Windows Phone – unnatürliche Elemente wie seitlich reinklappbare Menüs, wo diese Funktionen doch sonst auf einer weiteren parallelen Fläche präsentiert wurden.

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Mehr und mehr die Regel: Designanleihe bei Android

Wer jetzt die Entwickler dafür verantwortlich macht, der beschuldigt wohl die Falschen. Microsoft selbst gibt in seinen Materialien für Entwickler ausdrücklich Tipps wie man „beliebte iOS Designs“ auf „Windows Phone 8 übertragen“ kann. Das macht sprachlos! Erneut scheint Microsoft größeres Gewicht darauf zu legen, dass überhaupt Apps in den Store kommen, als dass diese die Seele von Windows Phone wiederspiegeln. Derartiges wäre bei iOS nicht denkbar, wo die Designvorgaben penibel diktiert werden und im Resultat das Nutzergefühl sehr viel einheitlicher ist.

Zuletzt auch hier noch ein Zusatz: Ich bin kein Prinzipienreiter und mir sind im Endeffekt funktionierende Apps immer noch wichtiger als hübsche Apps. Wenn ich dafür auf mein geliebtes Windows Phone Nutzererlebnis verzichten muss, dann nehme ich das in Kauf, wenn(!) ich dafür fehlende Features erhalte. Genau das ist aber nicht der Fall. Erneut am Beispiel von Spotify sieht man, dass die App noch immer funktionsmäßig hinter den iOS und Android Versionen hinterherhinkt und z.B. nach wie vor nicht den Zugriff auf die „Sammlung“ / „Meine Musik“-Bibliothek erlaubt. Dabei will ich gar nicht davon anfangen, was für Signale Microsoft sendet, wenn die eigene OneDrive App für iOS ein großartiges Update erhält, während die Windows Phone Variante als Neuheit nur Zugriff auf den Mülleimer erhält. Die Kollegen von Dr. Windows fragen da zu Recht: Wie viel Microsoft-Liebe für Android und iOS kann Windows Phone aushalten?

Aus dem Appgap wird ein „Identity-gap“

Wir nähern uns zusehends dem Ende des Jahres 2014 und damit dem prophezeiten Ende des Appgap (so Joe Belfiore bei Twitter). So sehr ich auch bei der Vefügbarkeit der einzelnen Apps ganz klare Fortschritte erkenne, so sehr sehe ich am Horizont andere Probleme aufziehen. Um „auf Teufel komm raus“ neue Apps in den Store zu kriegen, scheint Microsoft die Ansprüche an deren Qualität und deren Design stark zurück zu schrauben. Zwar füllen sich die Ränge, aber es droht eine Identitätskrise: Ein „Identity-gap“.

Was am Ende drohen könnte, ist ein Windows Phone Ökosystem, das im Wesentlichen eie kleinere Kopie des Android-Ökosystem ist. Aber wer braucht das? Bisher war die große Stärke von Windows Phone 8, dass es die einzige Alternative zu den herrschenden Bedienkonzepten und Designs bei iOS und Android ist. Aber diese Eigenständigkeit bröckelt. Nach wie vor erkennen Entwickler nicht den Wert an einer eigenen, originellen Windows Phone 8 App. Und Microsoft scheint wenig Interesse daran zu haben, dem entgegen zu wirken. Dazu gesellt sich eine nicht hinnehmbare Vernachlässigung der Pflege und Kontrolle im Windows Phone Store sowie die fast unerträgliche Bevorzugung von iOS und Android, was eigenen Dienste wie Onedrive und Skype angeht.

Ich hoffe, dass diese Phase nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zu einem gesunden Windows Phone Ökosystem ist. Microsoft hofft möglicherweise, zunächst eine Grundlage bilden zu können und dann aus einer Position der Stärke wieder mehr Eigenständigkeit entwickeln zu können. Wenn Microsoft aber nicht aufpasst, lässt es zu, dass sich Windows Phone in die eigene Identitätslosikgkeit „weiterentwickelt“.

Zu düster? Macht mir Hoffnung! See you in the comments!

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