Windows 10 Preview für Smartphones: Mein Ersteindruck

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Unverhofft kommt oft. So erreichte die Windows Phone Szene am Donnerstag Abend unerwartet die frohe Nachricht, dass die Technical Preview der Windows 10 Version für Smartphones verfügbar ist. Zugunsten des Leseflußes erlaube ich mir für den Rest des Artikels von Windows Phone 10 zu sprechen, denn – bei allem OneWindows Marketing – Windows Phone 10 ist und bleibt ein eigenes Betriebssystem, egal wie gern Microsoft das Gegenteil herbeireden möchte. Sparen wir uns die Vorreden und tauchen ein: In meinen Ersteindruck des Now-Or-Never-Updates auf Windows Phone 10.

Ein paar Hintergründe

Zu allererst eines vorab: Die Preview ist ein Preview ist eine Preview. Ich habe zu keiner Zeit erwartet, dass diese frühe Vorschau als Alltagssystem taugen würde. Anders als das bekannte Developer Preview Programm ist die nun verfügbare Vorabversion weit vom Beta-Status entfernt und dient eher als Feature- und Design-Vorschau.

Installieren kann man die Vorschau aktuell auf dem Lumia 630, Lumia 635, Lumia 636, Lumia 638, Lumia 730 und Lumia 830. Wer sich über diese Low-Level-Bevorzugung wundert, darf sich an Gabe Aul halten, der erklärte, das Problem sei die teilweise unzureichende Größe der Speicherpartitionen in den High-End-Geräten wie dem Lumia 930. Wie bereits bei dem Developer Preview Programm, installiert man sich eine App, die „Windows Insider“ App, logt sich mit seinem Microsoft Account ein und erhält dann über die regulären Systemupdates in den Einstellungen das Update. Neu ist lediglich: Man kann in der Windows Insiders App zwischen Insider Slow und Insider Fast wählen. Ich will natürlich an vorderster Front sein und habe Insider Fast gewählt, wohl wissend, dass ich meinem Gerät damit noch mehr zumute, als ich es mit dieser instabilen Vorschau ohnehin schon tue.

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Für besonders Wagemutige: Insider Fast

Die Vorschau läuft dann auch wie erwartet recht hölzern. Animationen, Toucheingaben und die allgemeine Stabilität zeugen davon, dass man eine aktive Baustelle betritt. Ich schaffe es auf meinem Lumia 830 beispielsweise kaum, meinen Homescreen bis nach unten durchzuscrollen, ohne dabei ungewollt eine App zu starten. Ansonsten läuft das System aber: WLan, Mobilfunk oder Bluetooth sind normal benutzbar. Auch der Akkuverbrauch wirkt nicht unnormal höher.

The Good

Kommen wir zunächst zum Positiven. Vor allem freue ich mich über die neue Offenheit bei Microsoft. Dass die Community und Interessierte mittlerweile so transparent eingebunden werden, ist absolut klasse. Microsoft gewährt einen sehr frühen Einblick und macht sich damit angreifbar. Das System ist nicht fertig und zeigt viele Schwächen. Den Mut, die Öffentlichkeit trotzdem teilhaben zu lassen, finde ich sehr lobenswert.

Die zweite erfreuliche Nachricht (die allgemein erstaunlich vernachlässigt wird) ist: WP8-Apps laufen auf Windows Phone 10. Damit wiederholt sich das Dilemma von Windows Mobile und Windows Phone 7 nicht noch einmal und der mühsam erkämpfte Fortschritt im App-Angebot bleibt erhalten.

Es gibt aber auch ganz handfeste Aspekte, die mir in der Preview gefallen und Lust auf die finale Version machen. Das Hintergrundbild, das nun den gesamten Homescreen ausfüllt und von den Kacheln transparent überdeckt wird, gefällt mir erstaunlich gut. Zudem erstreckt sich das Hintergrundbild nun auch nach rechts weiter und ist hinter der App-Liste erkennbar. Joe Belfiore sagte aber bereits zu, dass der bekannte Look aus Version 8.1 ebenfalls verfügbar bleiben soll.

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Direkt Antworten ohne die Appe zu betreten

Wie iOS 8 bietet Windows Phone 10 nun auch die Möglichkeit, direkt auf Benachrichtigungen zu antworten. Bekommt man eine SMS, kann man etwa ohne die Nachrichten-App zu starten, antworten. Bei iOS 8 hat diese Direkt-Antwort-Funktion allerdings seit über 4 Monaten nur sehr wenige Entwickler motiviert, ihre Apps anzupassen. Ob Microsoft mehr Erfolg hat, wird sich zeigen.

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Endlich Ordnung? Das neue Einstellungen-Menü

Das seit Ewigkeiten chaotische Einstellungen-Menü wurde ebenfalls endlich sortiert. An dieser Stelle spare ich mir die Frage, warum das so lange gedauert hat und freue mich erstmal, dass Microsoft sich dem Thema endlich angenommen hat.

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Lange überfällig: Verschlüsselung für Normalnutzer

Ganz besonders erfreut war ich darüber, dass es nun auch bei Windows Phone die Möglichkeit gibt, manuell die Verschlüsselung des Speichers zu aktivieren. In meinem Artikel „Smartphone Verschlüsselung: Android, iOS und Windows Phone 8 im Vergleich“ habe ich erklärt, was der Vorteil eines verschlüsselten Speichers ist und Microsoft dafür kritisiert, normalen Nutzern diese Möglichkeit zu  verwehren. Diese Zeiten scheinen nun auch endlich vorbei.

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Dank virtuellem Trackpoint ist die Texteingabe einfacher

Wirklich gut gefällt mir auch der neue virtuelle Trackpoint in der Tastatur. Seit Windows Phone 8.1 komme ich mit der Textmarkierung in Windows Phone nur schwer klar und finde es extrem fummelig, den Textmarker manuell zu platzieren. Auch dieses Problem hat sich hiermit ein Stück weit erledigt.

The Bad

Zu meiner Enttäuschung hat die Preview in mir nicht den erhofften Wow-Effekt ausgelöst. Die technischen Probleme der Vorschau-Version sind dabei nicht das Thema. Die gehören dazu. Es ist eher das Gefühl, dass Windows Phone 10 viele Chancen liegen lässt und stattdessen sogar etablierte Stärken aufgibt.

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Übersichtlichkeit sieht anders aus …

Das Action Center etwa ist nach wie vor von der Lautstärkesteuerung getrennt und unergonomisch von oben herunterzuwischen. Seit seiner Einführung plädiere ich für ein seitliches Action Center, das neben der Lautstärke- und Musikkontrolle auch Cortana enthalten könnte. So bliebe die klassich horizontale Hierarchie erhalten, die so viel besser zum menschlichen Daumen passt als vertikales Scrollen. Stattdessen bleibt das Action Center auch in der Preview ein verspäteter Klon der Benachrichtigungsmenüs von Android und iOS. Die Veränderungen in der Preview beschränken sich stattdessen auf ein angewachsenes Shortcut-Menü und die Möglichkeit einzelne Benachrichtigungen wegzuwischen. Gerade das erweiterte Shortcut-Menü macht abermals deutlich, wie unübersichtlich das Konzept um Action Center, Ausklapp-Haken und Lautstärkesteuerung zu werden droht. Es überlappen sich auf dem Sperrbildschirm nun drei verschiedene Layer, von denen zwei auch noch ausklappbar sind. Schön ist das nicht.

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Fehlt noch immer: Snap

Auch das von mir herbeigesehnte Snap hat es bisher nicht in die Preview geschafft. Nach der Vorstellung durch Joe Belfiore Ende Januar gab es viele Spekulationen darüber, ob Windows Phone 10 jedenfalls auf größeren Smartphones und Tablets endlich das praktische Seite-bei-Seite-Multitasking bieten würde. Die aktuelle Preview beendet dieses Rätselraten nicht. Ich hoffe, Microsoft hat das Thema Snap für Smartphones noch nicht beerdigt.

Immer noch unübersichtlich

Immer noch unübersichtlich: Das Einstellungen-Menü

Das sortierte Einstellungs-Menü hatte ich bereits angesprochen. So sehr ich mich freue, dass es überhaupt Fortschritte in dieser Rubrik gibt, so sehr hoffe ich doch, dass Microsoft hier nur einen ganz, ganz, ganz frühen Entwurf demonstriert, denn die Sortierung der Einträge ist praktisch kaum hilfreicher als die vorherige Liste aus 40 Einträge. Hinter der Überschrift „System“ oder „Extras“ verbergen sich nach wie vor lange Listen an wahllos sortierten Einstellungen. Im jetzigen Zustand stellt die Sortierung nur eine zusätzliche Ebene dar ohne dadurch mehr Ordnung zu schaffen.

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Beim Lockscreen ist bisher leider alles beim Alten

Die vierte Enttäuschung ist für mich der Lockscreen. Der ist schlicht und ergreifend völlig unverändert. In Zeiten, in denen iOS und seit Lollipop auch Android dynamische Benachrichtigungen auf dem Lockscreen anzeigen oder gewisse grundlegende Steuerfunktionen bieten, wirkt das unveränderte Konzept von nur fünf Apps, die fest definiert werden müssen, antiquierter denn je. Es bleibt also dabei: Wer mehr als fünf Apps auf dem Lockscreen sehen möchte, guckt in die Röhre. Und selbst wenn man sich für fünf Apps entschieden hat: Mehr als eine Informationen über Anzahl der verpassten Benachrichtigungen gibt es auch in der Preview nicht. Hoffentlich ist auch hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Besonders zuversichtlich bin ich aber nicht: Seit März 2014, als auf der Build 2014 Konferenz eine große Offensive für mehr Lockscreen-Vielfalt angekündigt wurde, ist bis auf einige verbuggte Lockscreen-Apps nix passiert.

The Ugly

Der wahre Hund liegt für mich nicht in den neuen oder fehlenden Features, sondern im Design begraben. Ich gehöre zu den Windows Phone Fans, die der Plattform vor allem wegen ihrer einmaligen Optik so zugeneigt sind. Als Microsoft Ende 2012 Windows Phone 8 veröffentlichte, beseitigte das neue Betriebssystem auf einen Schlag derart viele Schwächen der Konkurrenz, dass Windows Phone zu Recht in vielen Punkten als das modernste und fortschrittlichste System bezeichnet wird: Flat-Design, horizontale Hierarche, Optionen nahe am unteren Bildbereich und Live-Kacheln waren Konzepte, die heute so einzigartig sind wie damals.

Mit Besorgnis nehme ich deshalb wahr, dass sich Microsoft Schritt für Schritt von diesen Stärken verabschiedet und Windows Phone mehr und mehr zum Klon der herrschenden Bedienkonzepte von Android und iOS macht. Was bisher vor allem bei den Apps zu beobachten war, scheint nur auch das Betriebssystem selbst zu erfassen.

An den Kacheln scheint Microsoft derzeit glücklicherweise nicht zu rütteln, aber in fast allen anderen Bereichen wirkt Windows Phone 10 wie eine optische Abkehr von alten Tugenden. Die neue Fotos-App oder der neue Datei-Explorer zeigen fast nichts mehr von der bekannten Seitwärts-Bedienung. Stattdessen grüßen Hamburger-Buttons, Reinwisch-Menü und Bedienelemente am oberen Bildbereich. Damit droht Windows Phone in meinen Augen geradezu seine Seele und Identität zu verlieren.

Sehr kritisch sehe ich auch das Design des Einstellungen-Menü. Die Symbole, die Microsoft den Hauptrubriken zuordnet, wirken aktuell wie ein Fremdkörper in der etablierten Designsprache. Generell zeichnete sich das Flat-Design bisher dadurch aus, so weit wie möglich auf Bebilderung zu verzichten. Innerhalb des Einstellungs-Menü sind viele Bereiche zudem noch im klassischen Look, andere sind neu designt mit weißen Hintergrund, anderer Schriftart und viel kleinerem Text.

Ich bin sicher, dass gerade das Design der Bereich ist, in dem wir in den kommenden Monaten sehr viel Veränderungen sehen werden, aber ich bezweifle, dass Microsoft die eingeschlagene Richtung dramatisch ändert wird und fürchte, dass der aktuelle Eindruck näher an der finalen Optik sein könnte, als mir lieb ist. Derzeit geht man von einem Start der finalen Version von Windows Phone 10 zwischen Spätsommer und Herbst aus. Wenn ich diese Zeiträumen mit denen von Apple und Google vergleiche, dann muss ich zugeben, dass das Design von Windows Phone 10 noch erschreckend nach Baustelle aussieht. Die erste Beta von iOS 7 und die erste Preview von Android Lollipop wurden jeweils gut 5 Monate vor Release der finalen Version veröffentlicht und waren hinsichtlich des Designs bereits zu 99 % fertig. Das Design der Preview von Windows Phone 10 wirkt dagegen aktuell eher wie ein spontanes Brainstorming ohne Struktur.

Was darf man in den kommenden Monaten erwarten?

Diese erste Preview von Windows Phone 10 hat in mir leider vor allem Skepsis geweckt. Abhängig vom Zeitplan bei Microsoft macht mir besonders das inkonsistente und beliebig wirkende Design Sorgen. Aber mir ist es allemal lieber, dass wir diesen frühen Eindruck bekommen und vor allem auch die Möglichkeit haben, über die Windows Feedback App aktiv an der Entwicklung mitzuwirken. Ich habe und werde jedenfalls viele meiner Bedenken auch direkt in den Prozess einbringen.

Bezüglich der neuen Funktionen freue ich mich aber über weitere gestopfte Lücken, allem voran die Direktantworten, die Verschlüsselung und das endlich sortierte Einstellungen-Menü. Dass aktuell noch nichts von der neuen nativen Kalender- oder E-Mail-App zu sehen ist, zeigt aber, wie sehr wir uns noch im Anfangsstadium befinden. Das stimmt mich bezüglich möglicher Verbesserungen etwa am Lockscreen oder auch am Action Centers noch hoffnungsvoll.

Soviel dürfte den meisten Smartphone-Interessierten klar sein: Windows Phone 10 wird die vermutlich letzte Chance für Microsoft, im mobilen Markt mehr als eine Fußnote zu sein. Microsoft hat keine andere Wahl, als mit Windows Phone 10 alles auf den Tisch zu legen, was die Kreativität hergibt. Hoffen wir, dass bis zur finalen Version noch viele positive Überraschungen auf uns warten.

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