Nokia 6.1 (2018) im Test – Android One erreicht den Mainstream

Nokia is back! Diesen Eindruck könnte man jedenfalls gewinnen, wenn man sich die jüngere Geschichte des ehemaligen Handy-Giganten anschaut. Nach der ruhmreichen Zeit als Candybar-König kam das iPhone, dann Windows Phone, dann das Ende. Erst Ende 2016 traute sich Nokia dank HMD Global wieder auf den Smartphone-Markt und überraschte alle Kritikerinnen mit bemerkenswerten Erfolgszahlen. Dabei baut Nokia die Smartphones seit seiner Rückkehr (und Umkehr zu Android) allerdings nicht mehr selbst, sondern hat seinen Markennamen an das finische Unternehmen HMD Global lizensiert, das die Geräte wiederum von chinesischen Auftragsfertigern bauen lässt. Trotzdem schaffte es HMD Global mit der Nokia Marke auf bemerkenswerte 1 Million verkaufte Smartphones im Jahr 2017. Zum Vergleich: Nokia erreichte 7,3 Millionen Geräte im Quartal, als es 2014 von Microsoft gekauft wurde, und sank als Schatten seiner selbst zum Ende von Windows Mobile auf unter 1 Million Geräte im Jahr 2016.

Mit dem 2018er Lineup haben HMD und Nokia nun den sehr klugen Schritt hin zu Android One gemacht, was die Geräte nur noch attraktiver macht. Über 2 Jahre nach meinem letzten Testbericht zu einem „Nokia“ Smartphone, dem Microsoft Lumia 650, wird es daher Zeit, das ich mir das neu entfachte Smartphone-Feuer der Finnen einmal genauer ansehe. Den Anfang macht dabei dieser Test zum Nokia 6.1 (2018), für den mir die PR-Agentur von HMD ein Testgerät zur Verfügung gestellt hat. Ein Artikel zum Nokia 5.1 (2018) ist ebenfalls geplant.

Klassisches Design und gute Technik

Das Nokia 6.1 (2018) ist – wie gesagt – die zweite Generation der „Comeback“-Smartphones von HMD und Nokia. Im letzten Jahr gab es bereits ein „Nokia 6“, weshalb Nokia (auch im offiziellen Promo-Material) beim 2018er Modell einfach den Namen in „Nokia 6.1“ geändert hat. Gegenüber dem Vorgänger (hier ein Test bei Caschys Blog) hat HMD vor allem das Design verändert, dem Prozessor ein kräftiges Update spendiert und den microUSB-Port gegen den modernen USB-C-Stecker getauscht. Leider sind beim neuen Design die Front-Lautsprecher gestrichen worden. Displaygröße, Auflösung, RAM und Speicher sind hingegen identisch geblieben. So bekommt man beim Nokia 6.1 (2018) nun ein 5,5 Zoll großes Full HD Display mit 1920 x 1080 Auflösung (401 PPI), einen Snapdragon 630 Prozessor, 3/32 GB oder 4/64 GB Speicher, einen 3000 mAh großen Akku und eine ZEISS-Kamera sowie einem Fingerabdruckscanner auf der Rückseite. Eine positive Erwähnung ist auch der immer noch vorhandene Kopfhörer-Ausgang wert.

Beim Display fällt sofort auf, dass Nokia weiterhin auf das klassische 16:9 Format setzt. Das war Anfang letzten Jahres zwar noch völlig in Ordnung, aber Mitte 2018 wirkt das tatsächlich nicht mehr nur klassisch, sondern eher schon antiquiert. Das ist besonders deshalb kurios, weil das „kleinere“ Nokia 5.1 (2018) ein Display im 18:9 Format bekommen hat. Warum das hochwertigere Nokia 6.1 trotzdem noch im altbackenen 16 : 9 Look daherkommt, ist mir nicht erklärlich. So wirkt es leider etwas bullig, breit und massig. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das insgesamt sehr robuste, kantige, aber unzweifelhaft hochwertige Design aus Aluminium.

Rein optisch muss ich zudem auch zugeben, dass der Farbmix aus matt-schwarzem Gehäuse mit Kupfer-Akzenten so gar nicht mein Fall ist. Ich würde hier zur weißen Version raten, die – oh, welche Freude – ebenfalls mit schwarzer Front daherkommt (Ich ärgere mich sogar etwas, darauf nicht bei der Testgeräte-Anfrage geachtet zu haben, denn das weiß-silberne Modell sieht verflixt schick aus).

Ein echter Fehlgriff ist meiner Meinung nach die Platzierung des Fingerabdrucksensors auf der Rückseite. Der Sensor sitzt dank der langgezogenen Kamera/LED-Blitz-Leiste, die – sicher nicht unabsichtlich – an die alten Lumia-Zeiten erinnert, derart tief, dass ich praktisch immer mit dem Zeigerfinger zwischen Blitz und Kameralinse lande, wenn ich mich nicht konzentriere. Nicht nur das: Auch während der alltäglichen Handhabung kam ich immer wieder von oben an den Sensor und wischte damit unbeabsichtigt die Benachrichtigungsleiste von Android herunter.

Der Sensor selbst ist zudem auch nicht besonders zuverlässig. Ich habe meine Finger jedenfalls mehrfach eingescannt und bekomme trotzdem hin und wieder Fehlermeldungen. Das kann aber natürlich auch daran liegen, dass ich aufgrund der ungünstigen Platzierung des Sensors oft nur mit dem unteren Teil des Fingers auf dem Sensor landete. Gleichermaßen ergonomisch fragwürdig finde ich die Positionierung der Tasten am rechten Gehäuserahmen. Die Lautstärke-Wippe sitzt jedenfalls etwas zu hoch für meinen Geschmack.

Das Display tut seinen Job ganz passabel. Trotz LCD-Technik und der dabei üblicherweise etwas größeren Neigung zur Bewegungsunschärfe (LCD Response Time) habe ich das Display gern genutzt. Im Verhältnis zum miserablen LCD-Display des Essential PH-1 sehe ich das Display des Nokia 6.1 zum Beispiel klar vorne. Es dürfte, wie so oft im Midrange-Bereich, aber gern noch heller sein. Als Entschädigung unterstützt das Nokia 6.1 dafür immerhin Double-Tab-To-Wake und einen Benachrichtigungs-Vorschau-Modus („Aktivitätsmodus): Sehr pratisch! Eine Benachrichtigungs-LED fehlt hingegen: Ärgerlich!

Beim Akku kann ich hingegen keine Kritik äußern. Dank sparsamen Prozessor, schlanker Software und moderater Displayauflösung schafft es der 3000 mAh Akku problemlos über den Tag. Bei meinem Nutzungsverhalten hatte ich jedenfalls zum Nachmittag hin noch gut über 50 % Ladung übrig und schaffte es sogar problemlos bis zum nächsten Vormittag. Am Ende erreichte ich vor der nächsten Ladung ohne Probleme (mit viel Social Media, Youtube-Schauen, Streaming im WLan und Mobilfunk) deutlich über 4 h Display-On-Time.

Lob für die Software

Für die Software gibt es von mir als Freund (aber auch Kritiker) von purem Android selbstverständlich ein großes Lob. Auf dem Nokia 6.1 (2018) läuft Android One, also eine sehr schlanke Android-Version nahe am purem Google-Look, wie man es auf den aktuellen Pixel-Smartphones findet. Das heißt: Kein unnützen Spam-Apps, keine verkorksten Anpassungen an Funktionen und Aussehen und direkte Updates von Google. Damit gilt auch für das Android One auf dem Noka 6.1, das man als Käuferin mit 18 Monaten Betriebssystem-Updates und pünktlichen monatlichen Sicherheitspatches rechnen kann. Wer sich für weitere Details zu Android One interessiert, dem empfehle ich meinen Testbericht zum Xiaomi Mi A1, wo ich die Geschichte und Entwicklung von Android One noch ausführlicher darstelle.

Die Performance war dementsprechend auf gutem Niveau. Natürlich kann – pures Android hin oder her – ein Snapdragon 630 samt 3 GB RAM (so die Ausstattung meines Testgeräts) nicht mit der unerreicht traumhaften Performance eines Google Pixel 2 (XL) mithalten, aber Animationen, App-Starts und Reaktionen auf Eingaben ließen beim Nokia 6.1 selten Wünsche offen. Softwareseitig finden sich mit der Nokia Kamera App und einer FM-Radio App auch nur zwei Apps, die nicht zum puren Android gehören. Ansonsten gleicht die Software wie ein Ei dem anderem jedem anderen Android One Gerät. Nur ein einziges Mal musste ich stutzen, als aus dem Nichts ein Overlay erschien, das mich fragte, ob ich das Smartphone weiterempfehlen würde. Das scheint mir auch ein von HMD eingebautes „Feature“ zu sein.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Testberichs im Juli 2018 läuft das Nokia 6.1 mit Android 8.1 (Oreo) und ist mit dem Juli 2018 Sicherheitspatch ausgestattet. Das Update auf Android 9 (P) ist garantiert. Genau so sollte es sein und der gute bzw. schnelle Support mit Updates ist ja auch die zentrale Stärke der Android One Geräte.

Wenige Kompromisse bei der Kamera

Bei der Hauptkamera geht Nokia noch nicht den Trend zur Dual-Kamera mit, sondern liefert einen einzelnen 16 MP Sensor mit f/2-Blende und Zweiton-Blitz (Zur Frontkamera kann ich wenig sagen. Die klebe ich schon seit Langem aus Gewohnheit ab, da ich sie praktisch nie nutze und mir so auch die Sorgen spare, irgendeine App könnte den Kamera-Zugriff missbrauchen). Die mit der Hauptkamera möglichen Fotos sind insgesamt aller Ehren wert. Dank HDR-Modus gelingen auch Fotos mit hohen Helligkeitsunterschieden gut. In mauen Lichtverhältnissen zeigen sich natürlich die typischen Schwächen, aber alles in allem überzeugt die Kamera.

Die Kamera-App startet mit dem typischen Android-Shortcut (Doppel-Klick auf die Standby-Taste) angenehm schnell und ist übersichtlich. Besonders hat es mich gefreut, das HMD den alten Pro-Modus aus den Microsoft Lumia Zeiten beibehalten hat. Die kreisartig angeordneten einzelnen Regler für Weißabgleich, Belichtungszeit und ISO gehören zu dem Besten, was ich jemals in Sachen Smartphonekamera-Steuerung gesehen habe.

Kombiniert mit einem echten High-End-Kamera-Sensor wäre der Pro-Modus aber natürlich noch sinnvoller. Trotzdem: Wer gern ein bisschen mit den Kamera-Einstellungen spielt, bekommt hier gewohnte Nokia-Qualität.

Fazit: Nicht mein persönlicher Favorit

Mein Fazit nach etwas über einer Woche mit dem Nokia 6.1 (2018) ist daher insgesamt wohlwollend, aber nicht euphorisch. Rein optisch freue ich mich ehrlich gesagt mehr auf das moderner aussehende Nokia 5.1 (2018) und schiele auch bereits zum BQ Aquaris X2. Technisch macht man mit dem Nokia 6.1 zwar nichts falsch, aber mich würde ehrlich gesagt allein der Fingerabdruck-Scanner auf Dauer nerven. Das ist im Grunde wirklich bedauerlich, denn für aktuell etwa 270 € bekommt eigentlich jede Käuferin ein gelungenes Smartphone. Wer – vielleicht, weil sie kürzere Finger hat – mit der Platzierung des Sensors klarkommt oder bereit ist, sich umzugwöhnen, kann das Nokia 6.1 allerdings getrost in die engere Auswahl nehmen. Ich persönlich würde aber, wie gesagt, zur weiß-silbernen Version raten, die ich optisch klar bevorzuge.

Natürlich kann man für 270 € auch zu (den teilweise technisch deutlich besser ausgestatteten Geräten von) Huawei, Xiaomi oder Honor greifen, aber im Verhältnis zu den asiatischen Konkurrenten spielt das Nokia 6.1 derzeit dank Android One seine Stärken bei der Software aus. Wer heute ein Smartphone kauft, sollte kein Gerät mehr kaufen müssen, das in wenigen Monaten bereits ohne Softwaresupport dasteht. Und genau das ist für mich die eigentliche gute Nachricht am Nokia 6.1 (2018): Android One erreicht langsam aber sicher den Mainstream. Das Xiaomi Mi A1 hatte hier zwar eine Art Vorreiterrolle, aber den Fernost-Android-One Pionier kann man leider weiterhin nicht offziell in Deutschland kaufen. Geräte, wie die 2018er Geräte von HMD sind da ein echter Fortschritt. Bisher waren Käuferinnen in diesem Preissegment auf Geräte von Samsung, LG & Co angewiesen, deren Software oft bei Kauf schon „Dead-On-Arrival“ ist. Dank Android One gibt es nun endlich auch für schmale Geldbeutel verlässliche Software und gute Hardware. Allerdings: Am Horizont zeichnet sich bereits das Xiaomi Mi A2 ab, das dieses Mal vielleicht auch offziell nach Deutschland kommt. Und auch BQ hat mit der zweiten Generation der Aquaris X-Serie sehr interessante Android One Smartphones im Angebot. In wenigen Wochen wird sich das Nokia 6.1 (2018) hier also deutlich mehr Konkurrenz stellen müssen.

Dank Android One naht damit aber immerhin endlich ein Szenario, das ich mir schon lange wünsche: Dank Android One können wir demnächst (ähnlich wie bei iOS) unsere Kaufentscheidung einfach danach ausrichten, welches Gerät uns optisch, preislich und von den Leistungsdaten her zusagt, während wir uns softwareseitig auf das stets vertraute, zuverlässige Android One verlassen können. HMD macht mit seiner Strategie aus guter Hardware, schlanker Software und gekonnten Nokia-Marketing daher sehr viel richtig, meine ich.

Nachtrag (15.07.2018)

Eine Kommentatorin wies mich darauf, dass jedenfalls Amazon.de mittlerweile das Xiaomi Mi A1 auch selbst verkauft (Danke für den Hinweis!). Das ist mir bisher tatsächlich entgangen. Zwar heißt das nicht, dass Xiaomi offiziellen Support oder gar Garantie für deutsche Kunden anbietet, aber jedenfalls bei Hardware-Defekten dürfte man mit der Gewährleistung von Amazon.de ausreichend bedient sein.

Das macht die Lage für das Nokia 6.1 (2018) und europäische Android One Geräte im Allgemeinen natürlich nicht einfacher. Ein endgültiges Urteil möchte ich mir aber für einen späteren Zeitpunkt und vielleicht einen Artikel à la  „Das beste Android One Smartphone“ aufheben, wenn ich ein paar mehr Geräte in den Fingern hatte. Bis dahin würde ich aber jeder Käuferin empfehlen, vor einer Kaufentscheidung immer kurz zu vergleichen, welche Android One Geräte aktuell jeweils verfügbar sind.

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