Niemand hat die Absicht, eine Smartwatch zu brauchen (Gastbeitrag)

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Werte Leser, hier schreibt DMM. Der folgende Beitrag stammt wieder einmal aus der Feder meines Gelegenheits-Co-Autors, Christian. Ihr erinnert euch vielleicht an seinen tragischen letzten Beitrag, seinem Abschied von Windows Phone. Wie es ihm seitdem ergangen ist und welche neuen Möglichkeiten ihm sein Wechsel auf Android eröffnet hat, lest ihr hier. Viel Spaß!

Die Erfindung der Armbanduhr hatte ich schon vor zwanzig Jahren als überflüssiges Relikt vormoderner Gesellschaften erkannt. Wer braucht schon ein Zeiteisen am Handgelenk, wenn man ein Handy hat? So hielt ich auch den aufkommenden Hype um die Smartwatch für völlig übertrieben. Eine dieser nassforschen Überzeugungen im Leben, die sich eines Tages dann überraschend als falsch herausstellen. Die Einsicht begann mit einem neuen Handy. Im Unterschied zu meinem Windows Phone saß ich auf dem neuen Nexus 5X nämlich vor einem prall gefüllten App-Store. Ich hatte die alte WindowsPhone-Attitüde noch nicht gänzlich abgelegt, nichts zu benötigen außer meinem Browser und dreißig Wetterapps. Aber spannend waren all diese neuen Android-Programme ja schon. Und so stieß ich irgendwann auf Sleep as Android.

Im Schlaf bekehrt

Im Grunde versucht diese App, das Schlafverhalten des Nutzers zu analysieren, um den Weckton erst dann abzuspielen, wenn sich der Nutzer in einer Leichtschlafphase befindet. Man gibt einen Zeitkorridor an, innerhalb dessen man frühestens und spätestens geweckt werden möchte, und die App ermittelt dann den günstigsten Zeitpunkt. Dazu muss das Smartphone natürlich den Nutzer irgendwie sensorisch erfassen. Sleep as Android bietet hierfür zunächst die Möglichkeit, das Smartphone unter das Kopfkissen zu legen. Das funktioniert einigermaßen, birgt bei agilen Schläfern aber stets das Risiko, das Telefon des Nächtens aus dem Bett zu kicken. Alternativ kann man sich eines der zahlreichen Fitness-Armbänder ums Handgelenk schnallen, die auf derlei Bewegungserfassung spezialisiert sind. Meiner erst langsam erkaltenden Zuneigung zu Microsoft geschuldet, wanderte mein Blick zuerst zum Microsoft Band. Aber warum sollte ich mir ein Fitnessarmband zulegen, das dann tagsüber für mich keinen nennenswerten Einsatzzweck hat? Und hier kam die Smartwatch ins Spiel. Der App-Entwickler UrbanDroid hält auf seiner Webseite eine eindrucksvolle Liste aller möglichen Gerätschaften bereit, die mehr oder weniger mit Sleep as Android funktionieren. Angegeben ist auch der Stromverbrauch pro Nacht. Die erste Erkenntnis in Sachen Smartwatch war daher, dass die Dinger offenbar lausige Akkulaufzeiten hatten. Die Aussicht, so eine Uhr jeden Tag wieder aufladen zu müssen, damit mein Wecker funktioniert, empfand ich als wenig aufregend.

Eine Smartwatch darf nicht nerven

Nur die Pebble sticht hier heraus. Fünf bis sechs Tage Laufzeit (oder gar 10 bei der Steel-Variante) wirkten deutlich entspannter. Ich begann, mich ein wenig einzulesen, und die Akkulaufzeit kristallisierte sich sehr schnell als neuralgischer Punkt heraus. Laufzeiten, die statt in Tagen in Stunden angegeben werden, Displays, die sich abschalten, um Strom zu sparen, ja Stromspartipps, wie man sie vom Handy kennt, all das wollte ich auf gar keinen Fall. Die Uhr darf mich nicht nerven. Das tut mein Handy schon genug, ich will mich nicht noch um ein weiteres quengelndes Strommonster kümmern, für das ich Ladekabel und Akkupacks bereithalten muss. Nach einigen Tagen des Überlegens bestellte ich eine Pebble Time.

Pebble setzt, anders als alle anderen Hersteller von Smartwatches, nicht auf die vom Handydisplay bekannte LED- oder AMOLED-Technik. Stattdessen kommt ein LCD-Bildschirm zum Einsatz, also im Grunde das, was man vom Taschenrechner kennt, hier aber mit einer abnorm niedrigen Stromaufnahme. Das Ganze nennt sich Memory LCD und sieht in der Schwarz-Weiß-Variante phänomenal aus. An Klarheit und Kontraststärke ist ein solches Display kaum zu überbieten. Die Pebble Time hat leider die Farb-Variante dieses Displays. „Leider“, weil unter der farbigen Darstellung vor allem der Kontrast leidet. Nichtsdestotrotz ist das Display in jeder Lebenslage gut ablesbar und dank der niedrigen Stromaufnahme auch durchgängig sichtbar. Ich muss daher nicht wie der Kollege mit der Apple Watch erst mein Handgelenk schütteln, um die Uhrzeit zu sehen.

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Schönheitspreise gewinnt die Pebble wohl in der Tat nicht mehr.

Ein weiterer Aspekt der Pebble-Displays ist ihre Auflösung. 144 × 168 Bildpunkte ist hier nicht die Auflösung einzelner Icons, sondern die des gesamten Displays. Man muss schon tief in den Retro-Topf gefallen sein, um das wirklich gut zu finden. Andererseits stellt sich die Frage, wofür man denn Quadro Retina Ultra HD+ xK-Displays benötigt. Bildbearbeitung, Heimkino und Ego-Shooter sind eigentlich nicht die Kernkompetenz von schlauen Uhren. Und zum Anzeigen der Uhrzeit, von Mitteilungen und Statusmeldungen reicht die mikrobe Auflösung durchaus.

Kernkompetenzen

Natürlich installierte ich in den ersten Tagen alles mögliche auf meiner Pebble. Natürlich spielte ich Pixel Miner und änderte 17 Mal am Tag mein Zifferblatt. Was von all den Apps jedoch ablenkte, war das Gesumme. Eine Pebble hat keinen Lautsprecher. Um sich dem Nutzer ins Gedächtnis zu rufen, vibriert die Uhr. Und das tut sie in der Standardeinstellung immer dann, wenn sich eine Smartphone-App in der Benachrichtigungsleiste meldet. Und so summte meine Uhr nicht nur bei E-Mails, sondern auch bei vollendeten Downloads und Hayday-Erntehinweisen. Eine erste Anpassung war daher, die Benachrichtigungen zu filtern. Ich überlegte, was die Uhr signalisieren sollte: Anrufe, SMS, WhatsApp, Threema. Dann noch E-Mails und Kalender-Erinnerungen. Mehr nicht. Ich war einigermaßen überrascht, dass ich gefühlt 98% der möglichen Benachrichtigungen wegkonfiguriert hatte. Die Smartwatch diente fortan als Filter im Benachrichtigungsdschungel. Was dort signalisiert wurde, war definitv einen Blick wert, und die Entscheidung, sofort oder später zu reagieren, benötigte nur einen Blick aufs Handgelenk. Das ging beim Kochen wie beim Autofahren. Und was nicht auf der Uhr ankam, konnte auf jeden Fall warten, bis ich das Smartphone ohnehin wieder in die Hand nahm.

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Es gibt ihn doch, den praktischen Nutzen einer Smartwatch

Von den Apps, die ich anfangs ausprobierte, blieb ebenfalls kaum etwas übrig. Spiele und Stadtpläne zählen eben nicht zur Kernkompetenz eines Uhren-Computers. Stattdessen entdeckte ich auch hier eine Funktion, die ich massiv unterschätzt hatte. Als großer Freund der Zwei-Faktor-Authentifizierung benötige ich auf vielen Webseiten den Google-Authenticator. Damit werden zeitbasierte Einweg-Codes erzeugt, die zusätzlich zu Nutzernamen und Passwort abgefragt werden. Das normale Vorgehen ist dann, das Smartphone zur Hand zu nehmen, zu entsperren, die entsprechende App zu starten, um dann schließlich den Code auf der Webseite einzutragen. Mit der Pebble benötige ich einen Tastendruck: Die Authenticator-App wird über eine Schnellstart-Funktion der Pebble aufgerufen. Die Anzeige zeitbasierter Codes auf einer Uhr wirkt erschreckend organisch: Genau dort gehören sie hin.

Zu den weiteren unverzichtbaren Apps zählen seitdem ein Regenradar, der die nächsten dreißig Minuten abdeckt und ein Kurzeitwecker zum Teekochen. Das ist nicht viel, aber alles andere habe ich früher oder später wieder von der Uhr geschmissen, weil es nach dem anfänglichen Unterhaltungs- keinen Mehrwert bot.

Wer sich eine Uhr umbindet, merkt gar nicht, wie er sich an die Zeit kettet.

– alte Inka-Weisheit

Dass meine Smartwatch eine Uhr ist, war ein weiterer Aspekt, den ich als jahrzehntelanger Uhren-Verächter unterschätzt hatte. Doch die Präsenz der exakten Zeit hilft ab und an selbst meinem Verzicht-gestählten Zeitempfinden auf die Sprünge. Die Smartwatch hatte also eine Reihe erleichternder Effekte:

  • Die Uhrzeit (oh Wunder!)
  • Reduktion der Benachrichtigungen
  • Leichter Zugriff auf Authenticator-Codes

Nebenbei funktionierte das Schlaftracking – dessentwegen ich den ganzen Zirkus ursprünglich ja begonnen hatte – ebenfalls ganz vorzüglich.

Als ich vor einiger Zeit einem Kollegen mit einer Apple Watch vom Schlaftracking erzählte, lächelte er nur gequält und erläuterte, dass er die Uhr ja nachts nicht tragen könne, da müsse sie schließlich geladen werden.

Ich bin überzeugt, für mich die richtige Smartwatch gefunden zu haben. Der geringe Preis der Pebble ließe auch einen Verlust ohne Herzinfarkt verschmerzen, ihr Gewicht ist dezent, ihre Funktionen absolut zufriedenstellend und sie erfordert kaum Aufmerksamkeit in Form von Ladekabeln. Über die Optik kann man sicher streiten, wobei ich für meinen Teil die Kanten der Pebble der Lutschbonbon-Ästhetik bei Apple vorziehe. Das Display hat neben seinen Stärken auch unverkennbare Schwächen. Die gesamte Uhr umweht stets ein Hauch des Nerd-Spielzeugs. Aber sie tut, was sie soll, und das ganz hervorragend.

Oder, um es mit Bruce Springsteen zu sagen:

You ain’t a beauty, but hey you’re alright.

–  Thunder Road, Bruce Springsteen

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