Hat Apples goldener Käfig eine Zukunft?
|Steve Jobs nahm uns die Tastatur weg und wir waren erzürnt. Allerdings nur bis wir das iPhone in der Hand hatten und erkennen mussten: Wir brauchen keine Tastatur. Zu wissen, was der Kunde will, bevor der es selber weiß, gehört seitdem zu einer der Kernkompetenzen bei Apple. Was Kritiker oft als Bevormundung kritisieren, habe ich lange verteidigt: Apple hat in weiten Teilen den Fokus immer auf den Kunden gelegt und darauf, ihm ein gutes Bedienerlebnis zu bieten. Diese Bevormundung war aber schon immer ein schmaler Grad und aktuell habe ich das ganz starke Gefühl, dass Apple durchdreht.
Früher konnte Apple mit Qualität überzeugen
Die Verdrängung von Blackberry war rückblickend derart zwingend, dass man sich fragen muss, wieso nicht früher jemand auf die Idee kam, ein schlichtes Smartphone ausschließlich mit Touch-Screen zu bauen. Das gleiche gilt für iPad, iTunes und viele Details in iOS selbst. Die Qualität war derart bestechend, die Ausführung so verlockend, dass man nicht anders konnte, als zumindest höfliche Anerkennung zu zollen. Ich persönlich fühlte mich bei iOS nie so flexbiel wie zum Beispiel auf Android, aber am Ende des Tages habe ich oft trotzdem lieber zum iPhone gegriffen. Das Gefühl, ein durchdachtes und auf den Nutzer zentriertes Bedienerlebnis zu bekommen, hat mich lange überzeugt. Dafür habe ich es in Kauf genommen, für simple Dinge teilweise unnötige Umwege gehen zu müssen.
Natürlich würde ich lieber per Drag and Drop meine Musik auf das iPhone kopieren, aber zumindest hat iTunes am Ende das gehalten, was es verspricht: Eine saubere und hübsche Musikdatenbank. Bei Android oder Windows Phone muss ich noch immer mit diversen ID-Tag-Standards hantieren und die Verwaltung von Filme hat den Charme eines Windows-Explorer. Auch ist es irre nervig, nicht selbst entscheiden zu können, welche E-Mail oder SMS-App standardmäßig läuft. Solange die werkseitigen Apple-Dienste aber so gut funktionieren wie etwa iMessage nehme ich das in Kauf. Die Qualität hat bei Apple stets gestimmt.
Pebble, Spotify & Co: Kampf der Konkurrenz
Aktuell aber scheint Apple den Bereich der gesunden Arroganz zu verlassen und einer Art verzweifeltem Größenwahn anheim zu fallen. Ganz konkret besorgen mich die Anzeichen, dass Apple gegen Spotify und Pebble vorgeht. Beides sind starke Konkurrenten gegen eigene Dienste und Produkte. Gegen Spotify muss sich bald Apples eigenes iTunes/Beats Radio behaupten und die Pebble wird mit der Apple Watch angegriffen. Statt nun – wie früher – die Qualität sprechen zu lassen, wirkt es aktuell aber so, also ob Apple sich nicht anders zu helfen weiß, als zu schummeln. Hinter dem Rücken von Spotify macht Apple der Musikbranche Druck, Spotify die Lizenzen für deren Gratis-Angebot zu nehmen. Und jedenfalls in einem Einzelfall wurde eine App aus dem Appstore geworfen, die damit warb „kompatibel mit der Pebble Smartwacht“ zu sein. Natürlich war Apple nie besonders zögerlich mit harten Bandagen zu spielen. Während man sich in den Anfängen aber scheinbar noch bewusst war, dass das eigene Betriebssystem nur dann eine Chance hat, wenn es Vielfalt zulässt, dreht sich diese Haltung gerade ins Gegenteil.
Statt darauf zu setzen, das eigene Ökosystem mit Angeboten von Drittanbietern anzureichen, geht Apple derzeit scheinbar dazu über, so viele Angebote wie möglich selbst zu beherrschen. Die Apple Watch ist schlicht nicht besonders genug, als das sie aus sich heraus die Pebble verdrängen könnte. Das eigene Streaming-Angebot muss künstlich geboostet werden, weil die Konkurrenz schlicht genau so gut ist. Während Apple früher seine Qualitäten genutzt hat, um gute Drittanbieter für sich zu begeistern, nutzt es nun seine Marktmacht, um alle die zu verdrängen, die den eigenen Diensten gefährlich werden könnten,
Apple kann nicht alles alleine machen
Dabei braucht Apple die Vielfalt mehr denn je. Von den früheren Stärken der Apple Plattform sind für mein Gefühl nur noch wenige übrig. Das iPhone 6 war zuletzt nichts weiter als ein großes iPhone mit durchschnittlicher Technik und (zugegeben) guter Kamera. Die Apple Watch ist eine Smartwatch wie jede andere, zeigt aus Stromspargründen meist nix an und muss jeden Abend an die Dose. Innovative Hardware findet man mittlerweile woanders. Was mich trotzdem immer noch und immer wieder zu iOS Geräten greifen lässt, ist das großartige Ökosystem. Spotify, Microsoft Office oder soziale Dienste: Innovationen finden sich derzeit immer noch zuerst bei iOS. Die neue Kommentarfunktion bei Twitter? Die neuen Office Touch Apps? Das neue Spotify Design? All das wird stets zu allererst bei Apple eingeführt.
Wenn Apple nun anfängt, in einem Akt der Selbstüberschätzung, diesen Trend zu blockieren, indem künstlich die eigenen Konkurrenzdienste und -produkte gefördert werden, dürfte den Entwicklern schnell klar werden, dass es da noch 80 % Marktanteil gibt, den Apple nicht beherrscht. Sehen wir bald eine Blockade von Here oder Google Maps, weil die unternehmenseigene Maps-Lösung durchgedrückt werden soll? Verschwindet Skype aus dem Appstore, weil es iMessage zu nahe kommt oder wird bald Youtube gesperrt, weil Apple Pläne für ein iTube Portal entwickelt?
Apple kann unmöglich erwarten, all die Kreativität und Innovation seines lebendigen Ökosystems durch eigene Dienste zu ersetzen. Ich hoffe, dass die Jungs aus Cupertino das auch nicht vorhaben. Apple braucht sein Ökosystem aktuell mehr denn je und dazu gehören Spotify oder Pebble genauso wie andere Dienste, die ähnliche Funktionen wie Apple-Dienste bieten. Mich jedenfalls lockt die Apple-Hardware nicht mehr. Mich lockt das Angebot und die Qualität des Appstores. Wenn ich aber bald davon ausgehen muss, dass die Vielfalt woanders wartet, wird mir Apples goldener Käfig zu eng.
See you in the comments!
Ich bin Malte, der Chefredakteur hier bei DeathMetalMods.de. Ich bin beruflich als Jurist tätig und lebe in diesem Blog meine Lust an Technik, digitaler Welt und Gadgets aus. Ich schreibe hier die meisten Artikel und organisiere die Arbeiten im Hintergrund. Ihr findet mich auch privat bei Mastodon und Twitter.
Heute erscheinen merkwürdige Artikel – alle etwas fernab der Realität 😉
Von mir nur eine kurze Anmerkung:
Die 80% Marktanteil abseits von iOS sind für sich genommen vollkommen irrelevant. Schreibt man eine App für Android und konzentriert sich dabei auf die neueren OS-Versionen, da man eben neue Funktionen nutzen will/muss, schrumpft der Marktanteil radikal. Ich würde sogar sagen, er liegt dann unter dem von iOS. Wenige Monate nach der Einführung einer neuen Version von iOS sind hingegen 90+% der Geräte aktualisiert worden.
Außerdem ist nicht der Marktanteil, sondern die Profitabilität eines OS ausschlaggebend! Warum zeigen z. B. Onlineshops höhere Preise an, wenn man von einem iPhone oder iPad aus zugreift. Ganz genau, weil ein iOS-Nutzer „mehr wert“ ist, als Nutzer von Konkurrenzsystemen. Apples Kundschaft verfügt (im Durchschnitt) über ein hohes Einkommen und besitzt eine hohe Kaufbereitschaft. Andernfalls würde der App Store sich beim Umsatz/Gewinn nicht in bemerkenswerter Weise vom Play Store und erst recht vom Windows (Phone) Store abheben. Zudem werden die mobilen Geräte von Apple wirklich genutzt. Man schaue nur auf den verursachten Trafffic. Android andererseits muss oft als Feature Phone-Ersatz, erweitert um WhatsApp und Facebook, herhalten. Da könnte man genauso gut zu Symbian greifen. Eine Entwicklerflucht muss man in Cupertino also überhaupt nicht fürchten!
Daher muss ich bei Begriffen wie „Größenwahn“, „Selbstüberschätzung“, „Moral“, „keine Kreativität“, etc. immer schmunzeln. Richtig ist, dass Apple zurzeit mit harten, evtl. sogar rechtwidirigen Mitteln gegen die Konkurrenz vorgeht. Ebenso richtig ist, dass Apple daran gelegen ist, seine Nutzer langfristig an sich zu binden und ihnen den Wechsel zu erschweren. Nichts anderes erwarte ich aber von einem US-amerikanischen Unternehmen, welches an der Börse notiert ist! Wir sind hier nicht in der Eurythmiestunde einer Waldorfschule.
Zudem wird sich ja zeigen, ob Apples Dienst nicht wirklich Spotify & Co. schlägt. Schließlich kann dieser tiefer und nahtloser ins OS integriert werden. Für Android wird es allerdings auch nur auf eine App hinauslaufen.
PS: Wenn Apple daran gelegen ist, Drittanbieter generell auszuschließen, warum hat man dann MS Office für iOS freudig willkommen geheißen? Oder hat man in diesem Fall einfach vor der Schwäche von Pages & Co. kapituliert?
Moin Tim,
danke für den ausführlichen Kommentar und Sorry, dass es mit dem Freischalten so lange gedauert hat. Da hat mir zum ersten mal die Worterkennung des Spamfilters dazwischengefunkt.
Zum Kommentar: Du hast da wichtige Punkte angesprochen. Gerade der finanzielle Aspekt bei der iOS App-Käuferschaft ist nicht zu verachten. Und die 80 % Marktanteil sind natürlich lange nicht auf dem Niveau. Ich sage es ja auch ganz deutlich: Das Angebot und die Qualität im Apple Ökosystem lässt mich noch immer gern zum 5S greifen.
Aber fürchtest du nicht auch, dass Apple sich dem gesunden Wettbewerb entzieht? Von mir aus kann Apples iTunes/Beats Dienst Spotify gern in Grund und Boden rammen … sofern er das durch Qualität tut. Gleiches gilt für Pebble vs die AppleWatch.
Was Pages vs Office angeht, ist deine Frage natürlich auch sehr berechtigt. Ich sage auch nicht, dass Apple JETZT schon so weit ist, aber der Trend macht mir Sorgen und selbst ein Einzelfall lässt – meiner Meinung nach – Befürchtungen aufkommen.
Hallo Malte,
„Sorgen“ oder „Befürchtungen“ sind meiner Meinung nach die falschen Begriffe, was daran liegt, dass ich anders an die Sache herangehe. Du und viele deiner Kollegen sind technisch sehr versiert. Oft liest man jedoch von Tech-Bloggern, dass sie sich die Freiheit nehmen, wirtschaftliche Aspekte auszublenden. Ihnen fehle in diesem Bereich auch ein wenig die Expertise. Komischerweise haben viele von euch sich dennoch dazu entschieden, gewissen Unternehmen – in der Regel börsennotierten Aktiengesellschaften – mit Sympathie beziehungsweise Antipathie zu begegnen. Zugegeben, du bist wahrlich kein Fanboy im klassischen Sinne.
Dabei verliert ihr oft das Wesentliche aus den Augen. Beispielsweise ist „gesunder Wettbewerb“ lediglich ein theoretisches Konstrukt, welches längst nicht bei sämtlichen Marktteilnehmern erwünscht ist. Genauso ist es fast schon naiv (soll kein persönlicher Angriff sein, ich schätze deine Artikel), wenn man davon ausgeht, dass sich das beste Produkt durchsetzen werde oder sich dieses zumindest durchsetzen sollte. War dies in der Vergangenheit so? Oder war es nicht eher so, dass derjenige sich durchgesetzt hat, welcher früh Standards definieren konnte? Schau dir mal die Container-Branche an (ich meine diese rechteckigen Kisten, welche auf Schiffen tansportiert werden), dann verstehst du, was „Standard“ bedeutet. Hat nicht grundsätzlich ebenfalls derjenige einen Vorteil, der seine geballte Marktmacht einzusetzen weiß und über ausreichend Kapital verfügt – mir fallen hierbei z. B. die Samwer-Brüder (Rocket Internet) oder deutsche Discounter ein.
Und viel zu oft lässt sich die schreibende Zunft außerdem vom Unternehmensimage blenden. Erst recht bei Apple. Ja, Tim Cook ist Ingenieur. Danach ist er aber während seines MBA-Studiums „auf Kurs“ gebracht worden. Hinter der hippen Fassade vieler IT-Unternehmen/Startups (generell der meisten Großunternehmen) regieren Kaufleute und Juristen, welche der weißen, gehobenen Mittel-/Oberschicht entstammen und seit jeher an denselben Business/Law Schools ausgebildet werden. Denen geht es nicht, wie manchem Absolventen der MINT-Fächer, um das beste Produkt. Für die haben wirtschaftliche Kennzahlen eine weitaus höhere Bedeutung. Die verspüren Druck, denn sie wissen, was man unter dem Begriff „Shareholder Value“ versteht! CEO ist ein Schleudersitz.
Daher handelt Apple zurzeit genauso, wie man es erwarten würde/sollte – und könnte damit Erfolg haben. Nur weil Google stetig „Don’t do evil“ wiederholt, heißt dies ja auch nicht, dass dies das eigentliche Firmenmotto ist 😉
Und die Kundschaft, die größtenteils unmündig ist, wird sich daran nicht stören.
Tim,
mit einer solchen Sichtweise könnte (und würde) ich mir das Schreiben sicher sparen. Leidenschaft für Technik gehört hier einfach dazu und da erlaube ich mir selbstverständlich eine gewisse Ignoranz ggb. den blanken Tatsachen des Marktes 😉
Trotzdem: Ich würde sogar sagen, dass es hier auch um wirtschaftliche Entwicklungen geht. Die Tatsache, DASS das Publikum bei iOS deutlich lohnender für Entwickler ist, kommt ja nicht von ungefähr. Die Strategie, jetzt auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Dominanz, einen aggressiven Verdrängungskurs gegen Konkurrenzdienste zu fahren, kann ganz schnell nach hinten losgehen. Das geht schließlich nur, wenn man aus einer Position des Stärke handelt. Ohne starkes iPhone und iPad fehlt die Sogwirkung, die so viele zahlende Kunde ins Apple-Ökosystem lockt. Sollte sich das einmal ändern (und niemand ist zu groß um zu fallen) bleibt nur das vermeintlich tolle Ökosystem übrig. Und genau täte Apple gut daran, die Vielfalt aufrecht zu erhalten.
PS: Kein klassischer Fanboy? Gibt es auch neo-klassische Fanboys?
@Fanboy: Fanboys sind für mich Menschen, die eine ausgeprägte emotionale Bindung zu technischen Produkten besitzen. Die klassischen unter ihnen legen sich dabei auf eine Marke/ein Unternehmen fest.