Erziehen Netflix, Spotify & Co zu mehr Medienkompetenz?

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Die deutsche Fernsehlandschaft lädt wahrlich nicht zum Zappen ein. Die Chance, zwischen Vormittagsloch und Vorabendunsinn zufällig etwas Brauchbares zu erwischen, geht gegen Null, und den abendlichen Realityshow-Marathon klammere ich besser ganz aus. Trotzdem: Den Komfort, einfach die Glotze anzuschalten und sich berieseln zu lassen, kann man nicht bestreiten. Anders bei On-Demand-Diensten: Netflix, Watchever oder Maxdome verlangen vom Zuschauer das scheinbar Unmögliche: Auswahl! Ich frage mich: Führen On-Demand-Dienste vielleicht sogar zu mehr Medienkompetenz beim Zuschauer?

Zappen und Popkultur

Egal ob Radio, TV oder sogar die Zeitschriften beim Zahnarzt: In der Not frisst der Teufel fliegen und je mehr Fliegen man frisst, umso mehr gewöhnt man sich an den Geschmack. Popkultur ist in vielerlei Hinsicht das Ergebnis von Massenmedien. Auf der Jagd nach dem größten Publikum wird der Inhalt und das Arrangement abgeflacht, um möglichst wenige Konsumenten zu verlieren. Songs werden darauf getrimmt, auch im Autoradio erkennbar zu bleiben und TV-Serien werden so designt, dass auch der Zuschauer, der nur alle 3 Minuten von seinem Smartphone hochschaut, den Faden nicht verliert.

Wir mögen, was wir kennen und kennen, was wir hören: Der Popular-Medien-Kreislauf. Radio und Privatfernsehen erschaffen populäre Medien genauso wie sie den Bedarf danach decken. Die Linie zwischen Geschmack und Gewöhnung verschwimmt und ich frage mich oft, ob ich diesen Song oder diese Show wirklich mag oder mich nur daran gewöhnt habe. Kurz: Die Massenmedien bedienen unseren Geschmack nicht nur, sie bestimmen ihn selbst mit.

Kein Wunder also, dass das Zappen durch Fernsehkanäle und Radiostationen oft genug den Eindruck erweckt, man würde ständig wieder dort landen, von wo man eigentlich gerade entkommen wollte.

Wer wählen muss, wird wählerisch?

Immer mehr Zuschauer decken ihren Bedarf an Fernseh- und Musikangebot nahezu vollständig über On-Demand-Dienste. Das bedeutet: Wenn die Kiste angeschmissen wird, wartet kein vorgefertigtes Programm auf sie. Spotify sagt keinen Mucks, wenn ich nicht vorher Künstlernamen oder jedenfalls Stilrichtung oder Stimmung vorgebe. Genauso flimmert bei Watchever oder Netflix nichts über den Flachbildschirm, bevor der Zuschauer nicht jedenfalls ein Minimum an Vorauswahl getroffen hat.

Dreht sich damit die Rollenverteilung um? Wird der Konsument wieder Herr über das Programm, weil er selbst entscheidet, was läuft und was nicht? Ganz so paradiesisch ist die neue On-Demand Welt natürlich nicht. Die Bibliotheken der Streaming-Anbieter haben ihre Grenzen und vor allem: Auch sie nehmen nur auf, was sich verkauft. Trotzdem sehe ich einen gewissen Effekt: Zwar wird man die Popkultur bei Netflix & Co nicht los, das Angebot ist dort nämlich nicht zwangsweise besser, sondern nur größer, aber man wird vor die Wahl gestellt. Wer einfach nur konsumiert, was ihm vorgesetzt wird, hinterfragt früher oder später nicht mehr, was ihm dort vorgesetzt wird. Wer allerdings stets vorher eine eigene Entscheidung treffen muss, für den ist jeder Film, jeder Song und jede Serienfolge das Resultat einer Entscheidung. Aus sinnlosem Berieseln wird so in gewisser Weise ein Akt der reflektierten Selbstbestimmung.

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Verdirbt Streaming den Musikgeschmack?

Ich habe in meinem Artikel „Verdirbt Streaming den Musikgeschmack?“ allerdings auch beobachtet, dass Streaming-Angebote der Geschmacksentwicklung nicht nur zuträglich sind. Während früher jede CD eine Kostbarkeit war und man auch die Füller erduldet hat, wird dank grenzenloser Verfügbarkeit von „mehr Content“ heute allzu schnell zur Skip-Taste gegriffen. So sehr Streaming- und On-Demand-Dienste also die Notwendig einer Entscheidung mit sich bringen und den Konsumenten zu Selbstbestimmung zwingen, sorgen sie auch dafür, dass aufgrund der immensen Vielfalt einige Kostbarkeiten unentdeckt bleiben.

Nicht selten ertappe ich mich dabei, eben nicht neu über meine Vorlieben nachzudenken, sondern zum vierten Mal „The Big Bang Theorie“ anzufangen. Im normalen Live-TV oder Radio hätte ich vielleicht einen Zufallsfund gemacht, der mir eine Serie oder eine Band gezeigt hätte, die ich niemals selbst gewählt hätte.

Was denkt ihr? Fördern On-Demand- und Streaming-Dienste die Medienkompetenz der Zuschauer? Sind sie der Retter vor dem Nirvana des niveaulosen Privatfernsehens? Oder erreichen sie gerade das Gegenteil: Statt sich in Neues zu wagen, bleibt man bei Bewährtem und sperrt sich in einer Geschmacks-Zelle ein? Ich bin noch unentschieden. Soviel steht für mich aber fest: Ich schaue lieber zum fünften Mal eine Folge „Justice League Unlimited“, als zwangsweise ins Dschungelcamp geschickt zu werden.

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