Bandcamp – Alternative zum Musikerwerb für Streaming-Muffel (Gastbeitrag)

Verehrte Leser_innen, vor drei Jahren erschien hier im Blog ein Artikel, der sich mit der Frage beschäftigte, ob Streaming meinen (metallischen) Musikgeschmack verdorben hat. Heute habe ich die Freude, euch einen Gastbeitrags von Lurz zu präsentieren, selbst Musik- und speziell Metal-Nerd, der den Artikel damals mit Interesse gelesen und sich seine eigenen Gedanken gemacht hat. Viel Spaß damit!

Ich bin etwas älter als der Chef dieses Blogs und bin daher musikalisch in der „alten Welt“ groß geworden. Das bedeutet: Mit Mitschnitten von Radiosendungen am heimischen Kassetten-Rekorder und später der Frage, ob man sich wirklich die teure CD wegen zwei oder drei Bonustracks gönnt oder doch lieber zur billigeren LP greift (Ja, es gab eine Zeit in der das Vinyl nur 2/3 der CD gekostet hat, also 20 D-Mark). Musik war eine ernsthafte Wissenschaft, die Quellenlage spärlich und jeder Kauf wollte gut überlegt sein. Also wurden Musikzeitschriften, Fanzines und Mailorder-Flyer gehortet und sich systematisch ein hermetisches Wissen über Musik erarbeitet.

Welcher RockHard-, Visions- oder Spex-Redakteur traf meinen Geschmack treffsicher am genauesten? Welcher Ein-Mann-Mailorder hatte die besten Tipps auf den Listen? Heute würde man solche Leute wohl „Influencer“ nennen. Leuten wie Carsten la Tendresse von der Visions bin ich auch heute noch unendlich dankbar, weil er mich auf meine auch heute noch gültige Lieblingsplatte (Spiderland von Slint) gebracht hat. Alles Verfügbare solcher Szene-Anker habe ich auf Hinweise wie „Klingt wie…“ oder „Spielt der und der mit“ abgeklopft und mir dadurch mein Musik-Universum langsam aber stetig erschlossen. Ein nicht geringer Anteil des Monatseinkommens wurde so in den wohl überlegten Aufbau des eigenen Musikarchivs investiert. Nicht zu vermeidende Fehlkäufe taten richtig weh, zumal man solche auch nur schwer wieder los wurde, eBay war schließlich noch in weiter Ferne.

Dann kam das Netz

Dann kam das Internet mit Suchmaschinen, Napster und Blogs auf Geocities. So verdampfte ganz plötzlich das ganze mühsam aufgebaute Wissen in eine Wolke der scheinbaren Allverfügbarkeit. Schätze, von denen man nicht zu träumen wagte, konnten gehoben werden, Mythen zerplatzen, neue wurden geschaffen und die Deutungshoheit der Musikzeitschriften war dahin. Man fing an, englischsprachige Angebote zu konsumieren und gerade für Nischenmusik gab es auf einmal ein nicht für möglich gehaltenes Informations- und Daten(über)angebot.

Ich gebe zu, ich habe gerade am Anfang herzhaft hingelangt und vieles aus allen möglichen Quellen, meist schattiger Natur, „organisiert“. Man fühlte sich ein wenig wie ein Kind am unbewachten Süßwarenstand, schlechtes Gewissen inklusive. Die ersten (meist spektakulär gescheiterten) Versuche der Musikindustrie, diesen Wildwuchs einzudämmen, habe ich natürlich verächtlich beäugt und auch heute kommt mir kein DRM in die Tüte. Auch Metallica haben in der Folge (abseits der ohnehin schlimmen Musik aus dieser Zeit) die eine oder andere Image-Schramme abbekommen. Heute allerdings sind all die erbeuteten Schätze nichts mehr wert, ich ertappe mich jedenfalls höchst selten beim Stöbern auf alten Datenträgern mit halben Alben in 64 kbit/s-Qualität.

Aber genug nostalgisch geplaudert über Sünden der Vergangenheit. Heute ist Streaming in aller Munde, Musik wird nicht mehr geschnitten, sondern en bloc konsumiert über die allgegenwärtigen Plattformen. Deren Entwicklungen, Mutationen, Formate, Übernahmen und Hardware-Kopplungen wären eigentlich ein eigener Forschungsbereich. Aber um es kurz zu machen: Musik-Streaming ist für mich ein absolutes No-Go!

Warum Streaming für mich keine Alternative ist

Das ist keine sonderlich informierte Meinung, stützt sich aber auf zwei Grundüberzeugungen. Einmal, diese Geschichte hier. In a nutshell: Als Nischenmusiker wirst Du als Gestreamter mit Cent-Beträgen abgestraft. In einem anderen Artikel (den ich leider nicht mehr finde) war mir hängengeblieben, dass eine Indie-Band mit der ersten 7inch-Vinylplatte mehr Profit erzielt hatte, als mit dem Jahreseinkommen auf einer großen Streaming-Plattform, und das als etablierte Band mit mehreren Alben. Inwieweit ich mir in Anbetracht meiner eigenen Grau-Download-Vergangenheit ein solches Argument moralisch überhaupt zu Eigen machen darf, sei dahingestellt. Ich bin hier und heute zumindest bereit, ein für Künstler und Musikhörer faires Modell zu unterstützen. Alle zentralisierten Bezahlmodelle, die ich kenne, bevorzugen hingegen große Künstler und bezahlen (nur) diese entsprechend reichlich.

Der zweite Grund für meine widerborstige Haltung gegenüber Streaming liegt darin, dass mir eine Studie erst neulich wieder bestätigt hat, dass ich ein absoluter „Privacy Fundamentalist“ nach dem Privacy Index von Alan Westin bin (von dem ich vorher gar nicht wusste, das es ihn gibt). Mir kommt also kein Überwachungsdienst auf die Geräte, ich benutze fast ausschließlich quelloffene Software, der Rechner und das Telefon (derzeit das Fairphone) werden restriktiv auf Datenübermittlungen überwacht und die Konsole darf nur zu Updatezwecken mal kurz ins Netz. Die Vorstellung, dass meine Hörgewohnheiten ständig überwacht werden und mein Musikgeschmack nicht nachvollziehbar al­go­rith­misch mit Vorschlägen beeinflusst wird, ist mir einfach zuwider. Musikhören ist für mich etwas sehr Privates, da habe ich gern meine Ruhe. Im angesprochenen Streaming-Artikel, der für mich den Anstoß zu diesem Beitrag gab, werden natürlich auch die ganzen Vorteile genannt, aber die überwiegen für mich leider nicht. Zum Schluss würde mich auch stets die Angst umtreiben, dass der Streaming-Anbieter mir die Lieblingsmusik auch jederzeit wegnehmen kann, weil sich Verträge ändern oder der Dienst neu ausgerichtet wird. Nein, es bleibt für mich beim dreifachen Festplatten-BackUp im sicheren Home Sweet Home.

Meine Wahl zum Musikerwerb: Bandcamp

Nach all der Negativität und der langen Vorrede aber zum eigentlichen Sinn des Textes hier. Ich möchte eine Lanze brechen für Bandcamp. Auf die Frage, woher ich in den letzten Jahren meine Musik beziehe, kann ich sagen: Fast ausschließlich von Bandcamp. Mittlerweile sind dort fast alle Labels und Künstler aus dem Independent-Bereich (und solche die es werden wollen) versammelt.  Die Künstler oder Labels können ihre Werke direkt einstellen und werden direkt bezahlt, Bandcamp bekommt für das Bereitstellen der Plattform einen Anteil. Die Konditionen scheinen fair zu sein, zumindest ist niemand mehr auf die Unterstützung einer Firma angewiesen oder muss sich auf komplizierte Verträge einlassen. Das Hochladen der eigenen Musik ist kostenlos möglich und die Konditionen des Erwerbs für den Künstler frei bestimmbar. Ohne das in der Tiefe prüfen zu können (es ist sicherlich etwas komplexer als ich es in zwei Sätzen beschreiben kann) scheint mir die Plattform doch eine recht faire Sache im Sinne der Musikschaffenden zu sein.

Bandcamp: Meine Online-Alternative zu Spotify & Co

Was mir als Kunde am besten gefällt: Ich kann einfach einkaufen ohne Kunden-Konto und bezahle am Ende per Kreditkarte (oder Paypal). Den Einkauf bekomme ich als Link per E-Mail und kann mir dann das gewünschte Format als MP3 (auch in 320 kbit/s) oder FLAC einfach herunterladen. Das geht auch mehrfach, wenn der Download abbricht oder man die Platte nochmal schnell auf das Phone ziehen will; Ohne nervige Codeeingaben oder sonstige Ärgernisse. Wer will, kann noch einwilligen, per Mail auf weitere Aktivitäten der Band oder des Labels aufmerksam gemacht zu werden und das war es auch schon: Kein Spam, keine Werbung, keine Abonnements, kein „das könnte Ihnen gefallen“. Natürlich gibt es auch eine Streaming-App, aber die kommt aus genannten Gründen für mich eben nicht in Frage: Auf der Homepage von Bandcamp laufen die Tracker Quantserve und Google Analytics. Im Browser kann ich sowas leicht blocken, in einer App nicht ohne Weiteres.

Die Navigation in Bandcamp geht am einfachsten mit Genretags (die im Übrigen die Künstler oder Labels selbst vergeben), so habe ich die Tag-Seiten für meine bevorzugten MetalSpielarten als Favoriten im Browser und bekomme so, neben der Lektüre einer Hand voll Musikblogs, fast alle wichtigen Veröffentlichungen mit bzw. finde immer mal wieder einen Edelstein, weil mich zum Beispiel das Cover oder der Bandname spontan angesprochen haben.

Hat Bandcamp meine Hörgewohnheiten verändert?

Um zur eingangs gestellten Frage zurückzukommen: Hat sich für mich der Umgang mit Musik oder der eigene Geschmack durch die gebotenen Technologien verändert? Ja, sicher! Ich werde zwar immer noch von gewissen Meinungsführern beeinflusst, habe aber viel mehr Möglichkeiten mich selbstbestimmt in die Untiefen bestimmter Genres einzugraben. Das ist eine schöne Sache und sehr individuell. Von den Bands, die der Chef-Blogger hier in besagtem Streaming-Artikel erwähnt hat, kannte ich zum Beispiel kaum eine vorher. Man lernt eben nie aus. Mir helfen diese ganzen Möglichkeiten des Austauschs und der Information dabei, die Isolation des Musikgeschmacks im analogen Leben zu durchbrechen (meine Kumpels hören solchen Krach eher kaum).

Ich versuche auch heute noch, möglichst viel Musik so intensiv wie möglich zu hören. Mangels Zeit ist das nicht so einfach. Ich habe leider keinen Job wie Fenriz von Darkthrone, aber so um die 100 bis 200 Alben pro Jahr kommen auch heute noch hinzu. Geschmackstechnisch bewege ich mich anders als früher kaum noch über Genregrenzen hinweg. Es gibt zu viel guten Metal und der Nachschub über Bandcamp hört nie auf. Mit Streaming wäre ich wohl hoffnungslos verloren und würde Gefahr laufen, in der Beliebigkeit zu ersaufen; Angst vor Fremdbestimmung durch die eigenen Zwänge oder so. Um noch kurz auf Bandcamp zurückzukommen: Die Plattform ist für mich so toll, weil ich einfach auf Musik aufmerksam werde, die ich über die Mainstream-Plattformen oder auch klassische Plattenläden so nicht kennengelernt hätte. Im Fazit also: Mehr in die Tiefe, weniger in die Breite.

Ausblick und Empfehlungen

Bevor es arg zu verschwurbelt wird, belasse ich die Frage zum „richtigen“ Musikhören mit einem einfachen: Ich weiß es auch nicht, soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden. Vielleicht bin auch nur ein ignoranter alter Troll der Streaming schlicht nicht verstanden hat. Das kann ich natürlich nicht ausschließen.

Zum versöhnlichen Abschluss möchte ich deshalb dem Namen „DeathMetalMods“ noch die Ehre zu erweisen und fünf ganz persönliche Tipps zum Reinhören geben:

Fluisteraars kommen aus den Niederlanden und sind Teil einer fantastischen lokalen Szene mit wahnsinnig guten und sehr eigenen Black-Metal-Bands. Das zweite Album Luwte ist mein Lieblingsalbum des Jahres 2015. Ich kann nur schwer beschreiben, was daran so speziell ist, aber die Musik hat eine für mich selten erreichte hypnotische Qualität. Die Riffs und Melodien bleiben mir nach dem Hören noch Tage im Ohr. Zum stilistisch ähnlichen Weiterhören noch zwei Bonus-Empfehlungen: Iskand von Zon und Dor von Turia.

Als alter Lovecraft-Fan hat mich bereits das Cover eingenommen. Geboten wird schön kalter Low- bis Mid-Fi-Black-Metal mit fantastischen – an frühe Dissection erinnernden – Melodien. Ich habe das Album unzählige Male gehört und jedes Mal will ich sofort die Kralle dazu in die Luft halten und finster dreinblicken … Herrlich!

Eine Zahl-soviel-du-möchtest-Platte, wo man den Betrag ab 0 Euro aufwärts selbst festlegt. Die Musik ist technisch sehr cleaner Depri-Black-Metal, der von der Struktur her an ein klassisches Musikstück (nicht zu verwechseln mit irgendwelcher Symphonik-Grütze) erinnert, sich über die gesamte Spieldauer immer weiter in gemäßigten Bombast steigert und bei mir durchaus sowas wie Euphorie auslöst. Und ich gehe eigentlich eher sparsam mit meinen Gefühlen um.

Dieses Album ist schon fast Mainstream-Metal (wenn ich was zu sagen hätte) und die einzige Thrash-Metal-Platte der letzten Jahre die mich durchgehend begeistert hat. Diese Melodien: Unglaublich. Das Album ist wohl ein Space-Konzeptalbum und damit etwas, wo ich normalerweise mit einem „Nee, Danke“ den Raum verlasse. Aber hier passt einfach alles und macht mich auch (schon wieder?) euphorisch.

Locrian sind Dauerfavoriten von mir. Sie machen eine Mischung aus Elektronik, Noise, Metal und Krautrock, sind sehr hypnotisch und ein perfekter Soundtrack für die mit Sicherheit (mindestens mit großer Wahrscheinlichkeit) kommende Endzeit. Infinite Dissolution und The Crystal World sind so etwas wie ihre einsteigerfreundlichsten Alben. Wer es etwas strenger mag, kann gern auch die anderen Platten goutieren.

Mit diesen Empfehlungen verabschiede ich mich, freue mich auf Kommentare und würde jetzt natürlich sehr gern Eure Empfehlungen lesen.

Euer,
Lurz

 

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