Wie politisch darf ein Technikblog sein?

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Jedes Jahr das Gleiche: Man quält sich aus Liebe zur Großmutter in den Weihnachtsgottesdienst und versucht den einen Kirchenbesuch im Jahr hinter sich zu bringen. Doch dann passiert die Katastrophe: Statt der leicht zu ignorierenden Weichspülpredigt und dem Sing-Sang-Einerlei ist man an eine engagierte Pastorin oder eine moderne Gemeinde geraten. Plötzlich werden hochbrisante und unangenehme Fragen gestellt. Statt weihnachtlichem Schwamm-Drüber werden Themen ausgegraben, die weder gemütlich noch feierlich sind; Reales Leben halt.

Auch die Technikszene lebt nicht in einer Parallelwelt. Die auf Hochglanz polierten Edelvideos und -fotos lassen es uns zwar für einige Minuten vergessen, aber kein Blogger, Youtuber oder Redakteur kann etwas an der Welt ändern, in der wir leben. Die Frage: Sollten all die gesellschaftlichen und politischen Konflikte unserer Zeit überhaupt einen Platz in unserer Technikszene haben? Muss ein Technikblog gar auch ein Mindestmaß an politischer und gesellschaftlicher Meinung transportieren? Oder stört das Real-Life nur unnötig das besinnliche Abtauchen in die Technik-Welt?

Ist das Leben nicht schon ernst genug?

Meinen eigenen Beobachtungen zufolge reagiert ein Teil der Leserschaft tatsächlich eher verschnupft, wenn statt dem hundertsten Beitrag zum neuen iPhone auf einmal ein Editorial über Flüchtlingshilfe oder Netzneutralität im Newsfeed landet. Nicht selten liest man dann Kommentare der Art:

„Auf einem Technikblog will ich Techniknews, Artikel und Reviews lesen. Wenn mich Politik interessiert, kaufe ich mir eine Zeitung, also lass mich in Ruhe“.

Ganz plastisch wurde das im vergangenen Herbst, als zum Beispiel bei Mobilegeeks eine ganze Reihe von Beiträgen erschienen, die sich doch recht weit vom vermeintlichen Kerngeschäft entfernten. Artikel über den beängstigenden Anstieg von rechter Gewalt oder aktuell über den Abgasskandal bei VW führen in den Kommentaren nicht selten dazu, dass sich Sascha Pallenberg und sein Team dem zornigen Verlangen ausgesetzt sehen, doch bitte wieder zurück zum Thema zu kommen. Ähnlich erging es auch dem Team von WindowsUnited, denen ihre Smartphone-Spendenaktion mehr Rechtfertigungsdruck als Dankbarkeit zu bescheren schien.

So ganz unverständlich ist das natürlich nicht: Technik ist auch für mich vorrangig ein Hobby und Hobbys pflegt man nun einmal in der Regel gerade deshalb, weil man einen Ausgleich zum trüben, harten Alltag sucht. Die Technikwelt ist ein Stück Rückzugsort, an dem man die komplizierte Wirklichkeit eintauscht gegen eine einfachere Welt voller übersichtlicher Leistungsdaten und Hardwarefakten. Leid, Probleme und das Unrecht der Welt passen da nicht rein.

Schuster, bleib bei deinem Leisten

Aber nicht nur Leser rebellieren hin und wieder, wenn man ihre kleine feine Technikwelt allzu sehr mit der tristen Realität vermischt. Auch viele Blogger und Schreiber selbst sprechen sich gegen eine derartige Vermengung aus. Nicht jeder Technikblogger ist eben automatisch ein Journalist vom Schlage einer Christiane Amanpour und hat Lesenswertes zur Außenhandelspolitik zu schreiben, nur weil hin und wieder über internationale Absatzzahlen von Smartphones gebloggt wird. Martin Geuss von DrWindows drückte es anlässlich harter Kritik an seinem Artikel zur Stellenstreichung beim Microsoft-Lumia-Team einmal so aus:

„Auf DrWindows gibt es keine journalistische Qualität zu bewerten, denn auf dieser Seite findet kein Journalismus statt. Ich teile Infos, die ich für teilenswert halte, und schreibe meine Meinung dazu.“

– Martin Geuss, DrWindows.de

Und damit hat der werte Kollege Geuss nicht ganz Unrecht. Getreu dem Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ gibt es sicherlich gute Gründe dafür, dass nicht jedes Youtube-Sternchen sich zu aktuellen politischen Entwicklungen äußert. Mir ist durchaus klar, warum viele Blogger vielleicht eher davon absehen, sich mit Themen außerhalb der Techblase zu befassen: Das überlässt man besser jemandem, der sich damit auskennt. Und trotzdem finde ich obige Aussage gefährlich, denn damit macht sich die Technikszene zu klein. Der Deutsche Journalisten-Verband definiert Journalismus nämlich wie folgt:

„Journalist ist, wer sich an der Erarbeitung bzw. Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Printmedien, Rundfunk und digitale Medien beteiligt“

Gemessen daran finde ich jedenfalls ein Selbstverständnis problematisch, dass sich mit dem eigenen Journalistentum auch direkt der damit einhergehenden Verantwortung entledigen will.  Spätestens dann, wenn das BKA einem die Tür eintritt, weil man angebliche Geschäftsgeheimnisse eines großen Technikkonzerns verbloggt hat, dürfte sich nämlich auch der nüchternste Blogger wieder des wohligen Schutzes der Pressefreiheit besinnen, den ihm seine jorunalistische Arbeit verschafft.

Wer, wenn nicht wir?

Tatsache ist, dass auch die Technikszene mit all ihrer Reichweite und ihrer Leserschaft ein Teil der Presselandschaft ist, die für unsere Gesellschaft so wichtig ist. Die Überschrift dieses Artikels müsste deshalb eigentlich nicht lauten, wie politisch ein Technikblog sein darf, sondern wie politisch er sein muss. Wir als Schreiber und Leser der Technikszene leben in vielerlei Hinsicht in einer Zukunft, die für viele andere noch Science-Fiction ist. Wir leben bereits die Konflikte aus, die andere noch leichtfertig abwinken.

  • Wir sind mit unseren Smartphones bereits so verschmolzen, dass ein Sozialleben ohne sie unmöglich erscheint. Wer, wenn nicht wir, ist dann dazu in der Lage, den Argwohn zu entkräften, mit dem Flüchtlinge beäugt werden, die ganz selbstverständlich ebenso – und mehr – wie wir angewiesen sind auf ihre Smartphones?
  • Wir sind es, für die monatliche Datenvolumina von 500 MB lächerlich wenig sind und denen das Lachen im Halse stecken bleibt, wenn 1 MBit/s als „Breitband“ bezeichnet wird. Wer, wenn nicht wir, ist dann dazu in der Lage, die Gefahren von „Mehrwertdiensten“ zu erkennen, die deutsche Provider unter Umgehung der Netzneutralität einführen wollen?
  • Wir sind es, die bereits mit Smartwatches und Wearables durch die Gegend laufen. Wer, wenn nicht wir, müssen dann Alarm schlagen, wenn Krankenkassen auf die Idee kommen, die notorisch unzuverlässigen Sensoren der aktuellen Geräte zur Grundlage von Versicherungstarifen zu machen?

Meine persönliche Antwort auf die Frage, wie politisch ein Technikblog sein muss, ist damit ganz klar: So politisch es die eigenen Fähigkeiten eben zulassen. Unsere Generation ist in der einzigartigen Situation, von VHS-Tape bis Netflix eine Entwicklung miterlebt zu haben, die unsere Gesellschaft so stark verändert hat, wie wohl kein technischer Umbruch seit der Industrialisierung. Drohnen, Wearables und Virtuelle Realität sind kein Hobby wie Fliegenfischen oder Briefmarkensammeln. Sie sind Werkzeuge der sozialen Veränderung. Technik ist politisch, ob uns Technikfans das nun gefällt oder nicht. Technikblogs können daher gar nicht anders als auch politisch zu sein. Die Frage ist nur, ob wir als Technikszene uns dieser Verantwortung bewusst sind und ob uns klar, was passiert, wenn wir uns damit zufrieden geben, weiterhin nur „zu spielen“.

Weil mir persönlich „spielen“ allein nicht reicht, werdet ihr bei mir auch in Zukunft einen Mix aus Reviews, Meinungen und dem ein oder anderen politschen Statement zu lesen kriegen. Vielleicht interessiert das nicht jeden Leser so sehr wie das Review zum kommenden Galaxy S7, aber damit kann ich leben. Ich würde mir aber natürlich wünschen, dass jeder Leser meines Blogs anfängt, unser Technik-Hobby als mehr zu sehen, als nur einen Zeitvertreib. Und vielleicht fängt der ein oder andere ja jedenfalls an, seinem Lieblings-Youtuber nach mehr zu fragen als nur nach aktuellen Kaufempfehlungen.

See you in the comments!

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