Google: Freund oder Feind?

Was haben der milliardenschwere Smartphone-Markt, unzählige Werbe-Unternehmen und das gesamte Internet gemeinsam? Sie alle hängen am Tropf von Google. Kein Wunder also, dass Google immer öfter Ärger mit den Wettbewerbshütern, der Justiz und nicht zuletzt auch den Datenschützern bekommt. Andererseits: Wo wäre die Popkultur ohne Youtube? Wo wäre die mobile Welt ohne Android? Auch ich als Smartphone-Fan und Technik-Blogger frage mich immer häufiger: Ist Google eigentlich mein Freund oder mein Feind?

Google und die Legende des Rebellen

Google wurde – wie Apple – in einer Garage gegründet. Allein das verschafft dem Konzern einen gewissen rebellischen Sex-Appeal. Das Firmenmotto „Don’t be evil“ vermittelt zusätzlich den Eindruck einer Firmenpolitik abseits grauer Sitzungsräume, exzessiver Managergehälter und kaltem Kalkül. Google ist „in“ und hat Zeit zum Spielen. Während Microsoft oder Yahoo sich mit dem Charme einer Amtsstube präsentieren, bastelt Google ferngesteuerte Autos, Cyborgbrillen und Androiden. Die größte Rolle in der Legendenbildung um Google spielt wohl aber das Betriebssystem „Android“ selbst. Von allen aktuell verbreiteten Systemen umgibt es sich als einziges mit dem Image des offenen Systems, das transparent und kostenlos für jeden zugänglich ist, das „VolksOS“ sozusagen. All das resultiert darin, dass Google als eine Art kreativer Think Tank wahrgenommen wird.

GoogleImage

Google pflegt das Image eines Spielplatzes für Nerds

An alledem ist was dran, aber selbstverständlich ist Google zuallererst ein börsennotiertes Großunternehmen und damit vorrangig dem Gebot der Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Google hat kein Geld zu verschenken. Stattdessen hat es die aktienrechtliche Verpflichtung zur Vermehrung des Vermögens seiner Aktionäre. Solange das Geld fließt, sind Pleiteprojekte wie Google Glass zwar verzeihbar. Das ändert aber nichts daran, dass Google keineswegs am Weltfrieden bastelt, sondern an vermarktbaren Produkten arbeitet. Letztlich ist vor allem Android lange nicht mehr das offene System, als das es sich gern darstellt. Android ohne Google ist praktisch nutzlos und diese Tatsache macht sich Google zu Nutze. Seit Jahren dreht Google seinen Partnern die Daumenschrauben enger. Wer die Play-Services um den Appstore nutzen will, der muss gleichzeitig auch Googles gesamte Suite an Apps mitliefern und „powered by Android“ im Bootvorgang anzeigen. Beim Uhren-Betriebssystem „Android Wear“ ist eine Anpassung schlicht ganz verboten. Ars Technica titelte im vergangenen Jahr passend:

Android is open—except for all the good parts

Ich will keine populistische Hetze gegen Google anstiften oder mit Fackeln nach Mountain View ziehen. Ich denke aber, dass wir Google trotz aller Verdienste um die digitale Welt nicht romantisieren dürfen. Stattdessen müssen wir anerkennen, dass Google von heute auf morgen seine gigantische Macht in hässlichster Manier missbrauchen könnte. Einen Vorgeschmack darauf bekommt jeder, dem ohne Vorwarnung das digitale Ich gesperrt wurde, dem ohne Grund Werbeeinnahmen gestrichen werden oder der durch Googles DNS Server der Zensur unterworfen wird. Wir sind abhängiger von Google als wir es uns bewusst sind und wahrscheinlich auch als uns lieb sein sollte.

Das Problem des Suchmonopols

Das europäische Parlament hat Ende November Pläne geschmiedet, die das Ziel haben, Internet-Suchmaschinen aus deren Mutterkonzernen herauszubrechen. In der Presse wurde das nicht zu Unrecht als (schlecht) versteckter Versuch bewertet, den Google-Suchdienst vom Google-Konzern abzuspalten.

Was aber ist das Problem an der Google Suche? Der ein oder andere mag sich an die Querelen der EU mit Microsoft im Jahre 2009 erinnert fühlen. Damals kritisierte die EU, dass Microsoft seine auf das Windows Betriebssystem fußende beherrschende Marktposition ausnutzen würde, um dem Internet Explorer gegenüber Firefox, Chrome und Co einen Vorteil zu verschaffen. Bei den derzeitigen Plänen bezüglich der Google Suche liegt der Fall anders. Das Problem ist nicht mehr die Verdrängung konkurrierender Broweser, sondern die zunehmende Vermischung von Such- und Inhaltsdiensten.

Das Problem ist die immer weniger erkennbare Grenze zwischen Infrastruktur-Anbieter und Inhalts-Anbieter. Man stelle sich vor, man suche in einer Bücherei nach einem Buch über den zweiten Weltkrieg. Normalerweise würde man erwarten, dass der Bibliothekar aus seinem Verzeichnis alle Bücher heraussuchen würde, die zum Suchbegehren passen. Egal ob amerikanisch, russisch oder vielleicht sogar rechtsradikal reprägt: Man würde erwarten, alle Bücher aufgelistet zu bekommen und dann eine eigene Wahl treffen zu können. Bei Google ist das aber lange nicht mehr die Realität, denn Google indiziert und präsentiet die Internetinhalte nicht nur, sondern bewertet diese zeitgleich. Die patentierten Ranking-Algorithmen spucken bestimmte Seiten als höherwertig und andere gar nicht aus. Wer im Google-Ranking nicht mindestens auf Seite 4 erscheint, der existiert praktisch nicht.

Google nimmt damit für sich in Anspruch, zu entscheiden, welche Inhalte es überhaupt in die Auswahl schaffen. Das ist solange kein Problem, wie Google diese Macht nicht missbraucht. Solange der Bibliothekar seinen Job macht, gibt es keinen Grund zu Sorge. Was aber, wenn der Bibliothekar ein Buch nicht mag und es einfach nicht mehr an Lesewillige herausgibt? Was, wenn Google einen bestimmten Artikel – wie diesen hier – nicht indizieren möchte? Niemand kann garantieren oder gar kontrollieren, dass Google fair und transparent mit seinen Suchergebnissen umgeht. Ein Suchdienst, der über 90 % aller Sucheranfragen beantwortet, erhält ungemeine Macht über unsere Gesellschaft. Die Kehrseite dieser Macht sehen wir darin, dass Google über die Suchvervollständigung sogar die gesellschaftliche Wahrheit umdefinieren kann.

Das Problem endet aber nicht bei der Frage, warum wir Google überlassen, welche Informationen uns erreichen. Mehr und mehr geht Google dazu über, fremde Suchergebnisse durch eigene Dienste zu ersetzen. Wer nach der Wettervorhersage sucht, der findet Seiten wie wetter.com nur noch weit unten. Vorrangig bietet Google eigene Wettervorhersagen an. Gleiches gilt für Adressdienste und die Gelben Seiten oder das Kinoprogramm. Google wird zunehmend vom Bibliothekar zum eigenen Redakteur. Das ist nicht zuletzt auch eine Gefahr für die Netzneutralität. Google bevorzugt eigene Dienste und benachteiligt andere. Inhalte, die Google nicht gefallen, verschwinden. Wir lassen im Endeffekt zu, dass die Wahrheit privatisiert wird. Für mich ist das ein großes und grundsätzliches Problem.

Sie wissen alles

„Sie wissen alles“ ist nicht nur ein sehr lesenswertes Buch der Juristin Yvonne Hofstetter, sondern auch der Vorwurf an Google. Nicht nur, dass Google die Macht hat, uns zu diktieren, welche Inhalte uns erreichen. Nicht nur, dass Google seine eigenen Inhalte vorschiebt. Nein: Google nimmt für sich auch das Recht in Anspruch, jedes bisschen Information aus Google Drive, Google Maps, Google Hangouts und natürlich der Google Suche zu umfassenden Nutzerprofilen zu verbinden.

Ist das notwendig, um die einzelnen Dienste anzubieten? Die hamburgischen Datenschützer meinen „Nein“ und haben in einem bisher einmaligen Verfahren eine Anordnung erlassen, die es Google verbietet, die Einzelinformationen zu Gesamtprofilen zu verknüpfen. Wer eine Route von Hamburg nach Berlin plant, muss nicht erwarten, dass die in seinem Google Drive Konto gespeicherten Bilder von Katzen dabei verarbeitet werden. Wer mit seiner Mutter über Google Hangouts chattet, muss nicht erwarten, dass die Inhalte mit seinen Äußerungen auf Google Plus verknüpft werden. Ein Unternehmen wie Google, das praktisch in allen Aspekten unseres täglichen Lebens integriert sein will, muss an irgendeinem Punkt schlicht Augen und Ohren zu Gunsten unseres Privatlebens schließen. Vor diesem Hintergrund wirken die Worte des Google CEOs Eric Schmidt wie Hohn, mit denen er nahelegt:

If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place.

– Eric Schmidt, Google CEO

Wohlwissend, dass Google vom Auto bis zur Heizung jeden Bereich unseres Lebens digitalisiert, ist diese Äußerung grotesk und dreist. Genauso könnte man dem Bewohner eines asbestverseuchten Hauses empfehlen, er solle eben einfach aufhören, zu atmen. Im Ergbnis läuft Googles Allwissen auf eine fatale Machtkonzentration hinaus, die – ehe wir uns versehen – dazu führt, dass wir derart abhängig werden, dass der Preis der Freiheit unbezahlbar wird.

Freund oder Feind?

Für mich als Android- und Google-Nutzer tut sich damit ein sehr bedauerlicher Widerspruch auf. Ich bin sicher, dass unzählige sehr fähige Persönlichkeiten bei Google arbeiten. Allen voran Mathias Duarte, der zuletzt mit dem Design von Android Lollipop Großartiges für mobile Bedienkonzepte geleistet hat, machen Google für mich hochinteressant. In gleichem Maße gebührt Google Lob dafür, das quietschbunte Internet gezähmt zu haben. Keine Frage: Ich will die hässlichen Monster-Dienste wie altavista nicht zurück und mir ist die Wettervorhersage direkt auf Google hundertmal lieber als die überladene und unübersichtliche Wetter.com Webseite.

Smarte Technik: Nur unter Aufgabe der Privatsphäre?

Ich will Smartwatches, ich will moderne Technik und ich will verlässliche Kommunikationsdienste. All das bietet Google auf einem fast konkurrenzlos gutem Niveau. Ich will aber dabei nicht das Gefühl haben, dass hochwertige Dienste notwendigerweise mit der totalen Aufgabe meiner Privat- und Intimssphäre einhergehen. Ich will nicht in einer Welt leben, in der ein gesichtloser Konzern mir diktiert, welche Wahrheit das Internet weitergeben darf. Ich will freie und transparente Kommunikation, bei der ich mich darauf verlassen kann, dass alle Inhalte die gleiche Chance auf Leserschaft haben. Ich fürchte, Google ist bereits über den Punkt der Beherrschbarbarkeit hinaus. Ich fürchte, dass das Internet mit allen seinen Herausforderungen bereits zu sehr zu einem Google-Netz geworden ist.

Ich weiß aber auch, dass Qualität nicht kostenlos ist. Ich bin deshalb gern bereit, für Google Hangouts und Google Drive zu zahlen, genauso wie ich für Threema oder gute VPN-Dienste zahle. Solange Google für sich in Anspruch nimmt, das Netz und seine Inhalte beherrschen zu wollen, ist es für mich ein Feind. Und solange Google meint, mein Privatleben wäre ein verwertbares Wirtschaftsgut, ist Android zwar ein bemerkenswert gutes Betriebssystem, aber das macht Google nicht zu meinem Freund.

See you in the comments!

 

4 Kommentare

Artikel kommentieren

Dein Kommentar wird in der Regel sofort veröffentlicht. Bei erhöhtem Spam-Aufkommen kann es aber zu Verzögerungen kommen. Hab dann bitte einfach Geduld. Zur Erkennung von Spam verwendet das Blog ein Plugin, das den Inhalt des Kommentars, seine Uhrzeit sowie einige weitere Daten, wie zB enthaltene URLs, berücksichtigt. Bitte beachte deshalb die Datenschutzhinweise zur Kommentarfunktion.

Notwendige Felder sind mit * markiert.