Android Wear 6.0: Auf der Suche nach dem Smartwatch-Sinn

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Uhren mit Android Wear Betriebssystem haben seit ihrer Einführung vor gut zwei Jahren nicht gerade auf der Stelle getreten. Besonders in Sachen Hardware hat sich die aktuelle Generation spürbar weiterentwickelt und die klobigen Anfänge der LG G Watch hinter sich gelassen. Die zweite Generation der Moto 360 ist beispielsweise – jedenfalls in der 42 mm Version – eine meiner Meinung nach wirklich sehenswerte Uhr und Smartwatch. Aktuell wird nun Android Wear 6.0 „Marshmallow“ für unterstütze Uhren verteilt und erreichte auch meine Moto 360 (2015) vor einigen Tagen. Mein Eindruck: Softwareseitig scheint Google noch immer an dem Konzept zu feilen, was man mit dem Smartwatch-Betriebssystem überhaupt erreichen will.

Motorola wieder sehr schnell

Die gute Nachricht zuerst: Motorola war wieder einmal ganz vorne mit dabei, als es um das Ausrollen der neuen Smartwatch-Software ging. Im Review zum Moto X Style habe ich den „Motorola Mythos“ und die unsichere Zukunft, die seit der Übernahme durch Lenovo über dem guten Software-Ruf schwebt, gerade erst beleuchtet. Bisher bleibt aber alles beim Alten: Das Update auf Android Wear Version 6 erreicht die Moto 360 (2015) als eine der ersten Smartwatches und steht für die erste Generation der runden Motorola-Uhr gerüchteweise ebenfalls kurz bevor. Natürlich hilft dabei, dass Google (anders als bei Android für Smartphones) den Herstellern nicht mehr erlaubt, in das Betriebssystem einzugreifen. Updates erfordern deshalb weniger Anpassungsbedarf durch die Hersteller, was den Rollout beschleunigen sollte.

Trotzdem haben LG, Huawei oder auch Asus für ihre jeweiligen Android Wear Uhren bisher kein Update verteilt. LG hätte dabei eigentlich sogar einen Vorsprung haben müssen, schließlich brachte LG bereits im Oktober 2015 die erste Android Wear Uhr mit vorinstallierter Version 6 heraus. Allerdings musste LG den Verkauf der LG Watch Urbane LTE nach wenigen Tagen wieder einstellen, angeblich wegen eines Hardwarefehlers.

Gesten, Mikromanagement und SIM-Support

Version 6.0.1 bringt für die Smartwatches vor allem zwei Dinge: Neue Gesten und die Möglichkeit, den Zugriff der Apps auf einzelne Datenarten zu regeln. Letzteres kennt man bereits von Android 6.0 für Smartphones, mit dem Google Ende 2015 endlich die Möglichkeit einführte, die Zugriffsrechte der Apps genauer und vor allem auch nachträglich zu regeln.

Das Rechte-Management ist auf dem Smartphone aber noch recht hölzern und unübersichtlich umgesetzt. Nicht anders empfinde ich es auf den Uhren. Natürlich ist es wichtiger, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, einzelnen Anwendungen Zugriff auf Standort oder gar Gesundheitsdaten zu verweigern. Ich habe aber nach wie vor das Gefühl, dass Google sich aus seiner Verantwortung stiehlt. Statt für seinen Appstore strenge Vorgaben in Sachen Datenerhebung und -nutzung zu machen, schiebt man nun den Nutzer die Verantwortung zu, wohl wissend, dass es fast unmöglich ist, den Überblick darüber zu behalten, welche Apps welche Daten lesen und weitergeben. Den Nutzer nun mit noch mehr Mikromanagement zu belasten, ist für mich mehr Ausrede als Fortschritt. Ich erwarte deshalb zusätzlich, dass Google gleichzeitig ernst macht mit nutzerfreundlichen Datenschutzvorgaben in seinem Appstore.

Die zweite Neuerung betrifft die bereits mit Version 5.0 eingeführten Gestensteuerung. Bisher konnte man durch Drehen des Handgelenks vertikal durch seine Nachrichten scrollen. Nun kann man zusätzlich mit Hoch- und Runterbewegungen auch Apps öffnen und Auswahloptionen bestätigen. Was nach einem fürchterlichen Gefuchtel klingt, ist es auch. Allerdings funktioniert die Erkennung der Gesten immerhin so gut, dass ich sie nicht völlig als Gimmick abstempeln möchte. Erhält man beispielsweise Nachrichten, während man die Mittagssuppe umrührt, lässt sich mit wenigen Gesten die Nachricht öffnen, lesen und per Sprache antworten … rein durch Bewegungen des Arms an dem die Uhr getragen wird. Das hat sich bei mir im Alltag bereits als recht nützlich erwiesen und deshalb verbuche ich dieses Upgrade als Mehrwert.

Zusätzlich bringt Android Wear 6.0 noch einige Verbesserungen, die ich mit der Motorola Moto 360 nicht nutzen kann. Uhren mit eingebautem Lautsprecher können etwa nun auch Sprache ausgeben und ermöglichen es so, echte Telefongespräche an der Uhr zu führen. Dank des ebenfalls neuen Software-Supports für SIM-Karten kann man die Uhr nun also zum selbstständigen Kommunikationsgerät aufwerten (geeignete Uhren vorausgesetzt).

Kleinigkeiten und Details

Neben diesen „großen“ Features haben sich auch einige Details geändert, wie etwa der wieder synchrone Nicht-Stören-Modus: Google hatte mit der Smartphone-Version von Android Marshmallow endlich einen brauchbaren Lautlosmodus zurückgebracht, der tatsächlich alles (außer dem Wecker) stumm stellt, was Vibrationen oder Tonsignale verursachen könnte. Koppelt man eine Android Wear Uhr mit seinem Smartphone, so lässt sich auch von der Uhr aus zwischen den diversen Benachrichtigungsmodi wechseln. Stellt man die Uhr beispielsweise auf Nicht-Stören, schaltet auch das Handy in diesen Modus.

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Seitdem aber das Smartphone-Betriebssystem auf Version 6 aktualisiert wurde und die Uhren die letzten Monaten auf Android Wear 5.1 („Lollipop“) verharrten, ist diese Synchronisation aus dem Takt geraten. Mit Android Wear 6 herscht nun wieder Gleichschritt. Allerdings führt das derzeit zu dem irritierenden Zustand, dass es scheinbar keine Möglichkeit mehr gibt, Smartphone und -watch so einzustellen, dass bei eingehenden Nachrichten NUR die Uhr vibriert. Da der Nicht-Stören Modus nun automatisch wieder synchronsiert wird, muss man derzeit Uhr oder Handy auf Vibrationsmodus einstellen. Was hier fehlt, ist eigentlich ein eigenständiger „Uhren-Modus“, der das Handy im Nicht-Stören-Modus belässt, während die Uhr brav vibriert. Denn was nützt mir die Uhr, wenn gleichzeitig stets das Handy auf dem Besprechungstisch brummt und surrt?

Auch neu ist die Möglichkeit, manuelle Zeitzonen einzustellen. Wer also im „Doc Brown“-Style seine fünf Android Wear Uhren auf unterschiedliche Zeitzonen einstellen will, kann das jetzt tun. Leider nicht verändert hat sich aber die nervige Angewohnheit von Android Wear, sich mit neuen Smartphones nur nach einem kompletten Werksreset zu verbinden. Dem zollt Google in Android Wear 6 nun dadurch Tribut, dass der früher „Werksreset“ genannten Menüpunkt in „Pairing aufheben“ umbenannt wurde. Das löst zwar das Problem nicht, ist aber jedenfalls ehrlich. Wieso meine Pebble Time Steel immer noch die einzige Uhr zu sein scheint, die problemlos binnen Sekunden zwischen iPhone und diversen Androiden wechseln kann, bleibt weiterhin offen.

Nicht überzeugt? Mich wundert es nicht!

Alles in allem bleibt Android Wear auch mit Version 6 das gleiche rätselhafte Ding, das es seit seiner Einführung war. Bedienung und Navigation sind zunehmend komplexer geworden, praktisch alle Wischbewegungen und Gesten bringen neue Untermenüs zum Vorschein, die nicht selten zum gleichen Ziel führen. Diese redundanten Verwirrspiele machen Android Wear auch in Version 6 zu einem System, das eine gewisse Einarbeitung verlangt. Dass nun sogar auf der Uhr ein eigenes Rechte-Management betrieben werden muss, um etwa den vorinstallierten Fitnessapps Herr zu werden, hilft da nicht gerade.

Ungelöst ist auch die fehlende Kontrolle über die Google Now Karten. Android Wear berechnet primär selbst, wann und was mich interessieren könnte. Das Wetter? Fußballergebnisse? Reisezeiten? Manuell gelingt der Zugriff auf dieses smarten Zusatzfunktionen noch immer nicht so intuitiv, wie es nötig wäre. Sich mit Wisch-, Dreh- und Winkbewegungen bis zur Wetterapp durchzukämpfen, ist jedenfalls nur selten schneller als einfach das Smartphone aus der Tasche zu holen. Immerhin: Theoretisch geht das alles nun ohne den Touchscreen der Uhr zu berühren.

Damit bleibt Android Wear auch in Version 6 vor allem eine Benachrichtigungen-Schleuder sowie eine Fernbedienung für Medienwiedergabe. Mir persönlich reicht das, um eine Smartwatch in meinen Alltag zu integieren. Wer aber auch durch Android Wear 6 noch nicht vom Konzept der Smartwatch überzeugt wurde, dem kann ich es nicht wirklich verübeln.

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