Adblocker, iOS 9 und das Ende des kostenlosen Internets

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Apple verändert die Welt, wieder einmal. So ähnlich dürfte es nächsten Monat aus San Francisco schallen, wenn Apple zur jährlichen iPhone Keynote lädt. Wie jedes Jahr gibt es ein neues iPhone samt Update für das mobile Betriebssystem iOS. Dieses Jahr werden wir Version 9 präsentiert bekommen. Ich habe bereits im Artikel „Google I/O gegen WWDC 2015: Wenn Privatsphäre zum Luxus wird“ zusammengefasst, was mich an neuen Features interessiert. Neben klügerem Siri, besserer Tastatur und (endlich) Multi-Tasking ist mir ein Feature fast durch die Lappen gegangen. Dabei ist es das Feature, das das Zeug zum heimlichen Star hat: Werbeblocker.

Das vielleicht größte Argument für iOS 9

Apple Freunde werden nie müde, zu betonen, was sie an ihren iOS-Geräten schätzen: Solide Performance, überschaubere Bedienung und gut umgesetzte Funktionen. Auch ich kann durchaus verstehen, dass jemand sich mit iMessage und der natürlichen Integration in die SMS-App sehr wohl fühlt oder die trotz guter Ausstattung handlichen iPhones zu schätzen weiß. Zuletzt fiel mir das Verständnis für Apple, gerade für iOS 8, aber doch recht schwer und gerade die Diskussion um den derzeit neu erstarkenden goldenen Käfig haben mir die Lust auf Apple stellenweise kräftig verhagelt.

Ausgerechnet Apple geht jetzt aber ein Thema an, das jeden mobilen Surfer früher oder später an die Nerven geht: Werbung, Anzeigen, Pop-Ups und Banner. Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde ein anderes, dunkles, unheimliches Internet betreten, wenn ich von meinem Laptop zum Mobilgerät greife. Seiten, die gerade noch blitzschnell luden, brauchen auf einmal ewig bis auch der letzte Rest Werbung geladen ist.. Seiten, die ich ansonsten nur in blankem Weiss kenne, werden zum grellen Las Vegas. Der Unterschied: Werbeblocker. Natürlich nutze ich unter Mac OS X und Windows einen Werbeblocker, Adblock Edge, um genau zu sein. Mobile Systeme, allen voran Android, iOS und Windows Phone hingegen lassen mich hier im Stich. Die Standardbrowser bieten keine Möglichkeit, Werbeblocker zu nutzen und abseits der mobilen Chrome, Safari und Internet Explorer kommt höchstens ein gerootetes Android-Gerät in den Genuss einer ähnlichen Freiheit.

Mit iOS 9 wird Apple nun seinen Safari-Browser für Plugins öffnen, die Werbeinhalte blockieren. Erste – auch öffentliche – Previews dieser Programme gibt es bereits. Ausgerechnet Apple, das sonst der Meister der Bevormundung ist, setzt hier auf einmal auf Wahlmöglichkeit. Ich wage zu behaupten, dass sich binnen kurzer Zeit das werbefreie Surfen mit Safari genauso zum Meme entwickeln wird, wie das unsägliche „Green Bubble Friend“. So herablassend wie vereinzelt auf Nutzer ohne iMessage (= grüne Chat-Anzeige) gezeigt wird, wird man in Zukunft auf Android- und Windows Phone-Nutzer herunterschauen, die noch mit Werbung surfen müssen. Apple wird vermutlich ein haarsträubendes Marketing-Fest abfeiern, aber ich mache kein Geheimnis daraus: Die Werbeblocker in iOS 9 könnten auch für mich das größte Argument für iOS 9 werden. Ich werde mich vermutlich derart schnell daran gewöhnen, dass jeder Griff zu Android und Windows Phone zur schmerzhaften Erinnerung an eine Werbeblocker-freie Vergangenheit wird.

Ein besseres Google-freies Netz?

Verleger, Publizisten und Marketing-Chefs wälzen sich beim Gedanken an ein werbefreis Internet wahrscheinlich schon jetzt schlaflos durch die Nacht. Während Desktop-Systeme schon längst mit Werbeblockern ausgestattet werden können, war der mobile Nutzer bisher ein gefundenes wehrloses Opfer. Gegen Cookies, Tracker und Werbeprofile ist auf Smartphones kaum ein Kraut  gewachsen. Aus der Abhängigkeit von Klicks, Leads und Unique-Usern ist für viele Webseitenbetreiter allerdings ein Teufelskreis geworden. Nur wer möglichst viele Nutzer mit Werbung dichtballert, hat Chance auf ausreichende Auszahlung von Google und anderen Werbenetzwerken. Dass diese Abhängigkeit längst nicht nur optisch zur Qual wird, sondern auch inhaltlich in den Ruin treiben kann, hat Sascha Pallenberg jüngst in einem lesenswerten Artikel thematisiert.

Wenn iOS 9 nun auch für mobile Nutzer einen Ausweg bietet, könnte man sich fast schon utopischen Phantasien hingeben. Ein Netz ohne Werbung ist vor allem für Google ein Alptraumszenario. Man möchte fast hoffen, dass dieser Angriff auf die Lebensader des Internetriesen seine Allmacht im Netz ins Wanken bringt. Das wäre nicht nur gut für alle, die sich um digitale Grundrechte sorgen, sondern würde vielleicht endlich auch das ewige Betteln um Klicks, Likes und Retweets beenden. In einer Welt, in der das Nutzertracking und das Werbeprofiling an Wert verlieren, müssten sich Seitenbetreiber endlich andere Wege suchen, Geld zu verdienen. Manch einer sieht gar das Ende des kostenlosen Contents im Internet nahen.

Natürlich darf bei all der Träumerei nicht die Realitäts-Brille vergessen werden: Apple geht es trotz aller Versicherungen, die wir von Tim Cook sicher hören werden, nicht um die Verbesserung der Welt, sondern vor allem um die Verbesserung der eigenen Bilanz. Und da Apple mit Werbung bisher nur wenig Geld verdient, sind Werbeblocker unter iOS 9 vor allem ein Geschenk an Apple selbst und ein weiteres neues Feature in iOS 9: Die neue News App. Statt im freien Netz zu surfen, sollen Apple Nutzer künftig in der Apple regierten Nachrichten-Welt leben, inklusive eigener Werbeplattform für Inhaltelieferanten.

Datenschutz als lachender Dritter

Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass die Einführung von Werbeblockern einen Schneeballeffekt auslösen wird. Meist wird das, was Apple einführt, schnell von der Konkurrenz aufgegriffen: Siri, Touch ID und Apple Pay sind beste Beispiele dafür, dass Apple hin und wieder Innovationsschübe anstoßen kann. Wenn – sei es auch nur aufgrund des Konkurrenzdrucks – die Widersacher bei Microsoft und Goolge dem Beispiel von iOS 9 folgen, könnte das Ergebnis früher oder später sein, dass es mit dem Ende der Internetwerbung auch einer andere Seuche im Netz an den Kragen geht: Dem Verfolgen der Surfer. Device-Fingerprinting und Cookies erstellen von jedem von uns täglich Profile über Vorlieben, Interessen und Gewohnheiten. Hauptgrund ist die Werbung, die Seitenbetreiber passgenau auf ihrer Seiten schalten und die Hoffnung, möglichst viele User zu einem geldwerten Klick auf das Werbebanner zu locken. Mit dem Ende dieser Banner macht aber auch die Teilnahme an Google AdSense oder Amazon Associates keinen Sinn mehr. Willkommene Nebenfolge: Das Tracking der Besucher könnte ein Ende haben. Der Datenschutz könnte als lachender Dritter übrig bleiben.

Egal wie groß die Auswirkungen sein werden: Ich bin mir sicher, dass Werbeblocker sich schnell unter Safari-Nutzern etablieren werden und ich hoffe, dass Apples Beispiel Schule macht. Gerade bei Microsoft bin ich zuversichtlich, denn der neue Edge-Browser teilt jedenfalls auf dem Papier viele Code-Bestandteile mit seinem Desktop-Zwilling, so dass sowohl unter Windows 10 als auch unter Windows 10 Mobile Werbeblocker möglich scheinen, sobald Microsoft im Herbst den Support für Drittentwickler-Plugins freigibt. Vor allem aber hat auch Microsoft sein unrentables Geschäft mit Online-Werbung gerade erst an AOL abgestoßen und hätte wie Apple sicher wenig Skrupel, seinen Nutzern werbefreies mobiles Surfen zu ermöglichen. Hoffen wir das Beste.

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